Artikel erschienen am 18.06.2015
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Zahnimplantate auch bei schwierigen Situationen

Computerassistenz machtʼs möglich

Von Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Nils Claudius Gellrich, Hannover | Dr. med. dent. Björn Rahlf, Hannover | Dr. med. dent. Markus Stoetzer, Hannover

Der Wunsch nach „festsitzendem“ Zahnersatz seitens der Patienten führt dazu, dass in der zahnärztlichen Implantologie zunehmend komplexere Fälle versorgt werden. Durch die Anwendung von computerassistierten Positionierungshilfen wird der operative Ablauf in der Praxis deutlich vorhersehbarer. Gleichzeitig stellen diese Verfahren ein Qualitäts­sicherungs­instrument für den Behandler und Patienten dar. Durch die Verwendung der 3-D-Röntgentechnik in Kombination mit Scan-Bohrschablonen wird die Komplikationsrate signifikant geringer und die Implantatinsertion deutlich genauer.

Die perfekte dreidimensionale Position des Implantates im Kiefer ist entscheidend für den dauerhaften Behandlungserfolg, wobei hierfür eben nicht nur eine ausreichende Knochen­substanz von Bedeutung ist. Bei der Positionierung des Implantats gilt es, darauf zu achten, dass keine Wurzeln von Nachbarzähnen oder Nerven verletzt werden; zudem müssen Tiefe und Ausrichtung des Implantats genau stimmen, damit ein späterer Zahnersatz exakt angepasst werden kann und die Implantate in Achsrichtung belastet werden. Ferner muss bei der Positionierung des Implantats auch die Lage des Gegenkiefers berücksichtigt werden.

Auf herkömmlichen zweidimensionalen Röntgen­bildern sind oftmals wichtige Informationen nicht erkennbar. Abhilfe schafft hier die Erstellung eines drei­dimensionalen Röntgenbildes (CT oder DVT) zur computergestützten drei­dimensionalen Implantat­planung. Der nötige Abstand zu Nerven und die optimale Implantat­insertionstiefe werden bei dieser Form der Planung exakt berechnet.

Screenshot eines virtuell geplanten Implantates (Verlauf des Nerven sichtbar gemacht)

Die Software ermöglicht eine drei­dimensionale Planung am Bildschirm und bietet beste Voraussetzungen, um das Implantat sicher und genau setzen zu können. Durch die 3-D-Planung kann zusätzlich eine Vorhersage des ästhetischen Ergebnisses einer prothetischen Restauration vor dem Einsetzen der Implantate getroffen werden. Auf der Basis der gewonnenen Informationen kann die exakte und sichere Implantat­positio­nierung im Knochen mittels einer speziellen Planungs­software in eine Bohrschablone umgesetzt werden. Mit der Planungs­software lässt sich auch an einem Monitor leicht verständlich zeigen, wie die Implantation geplant und anschließend durchgeführt werden soll.

Durch die Analyse aller drei Ebenen von 3-D-Röntgenbildern ist die Zuordnung von benachbarten anatomischen Strukturen, wie Nerven oder die Lagebeziehung zur Kieferhöhle, erst quantitativ möglich. Virtuell kann dann ein Modell des spezifischen Implantats geplant und positioniert werden. Verschiedene Planungsprogramme stehen dem Behandler bei der Planung und Visualisierung der Implantatinsertion zur Verfügung.

Die meisten Planungs­programme enthalten eine umfassende Bibliothek von Implantat-, Abutment- und Hülsens­ystemen aller großen Implantathersteller. Die Autoren verfügen über langjährige Erfahrungen mit dem offenen Planungs­programm coDiagnostiX® (Dental Wings GmbH, Chemnitz), welches durchaus als die führende Planungssoftware angesehen werden kann.

Zusätzlich zum 3-D-Röntgenbild wird ein virtuelles Modell von dem zu versorgenden Kiefer benötigt. Dazu wird der Kiefer abgeformt und ein Gipsmodell erstellt. Dieses Modell wird eingescannt und als digitales Modell zusammen mit dem 3-D-Röntgenbild in die Planungssoftware eingelesen. Alternativ gibt es Systeme, die einen direkten Scan des oralen Befundes ermöglichen. Nun kann quantitativ die knöcherne Situation analysiert werden, zeitgleich kann die reale Situation mit der vorhandenen Restbezahnung und dem Verlauf der Gingiva mit dem digitalen Befund abgeglichen werden. Aus der Implantatbibliothek kann das gewünschte Implantat ausgewählt und virtuell positioniert werden. Somit lässt sich im 3-D-Röntgenbild genau ablesen, ob die geplante Implantat­position chirurgisch umsetzbar ist, ob vorherige augmentative Maßnahmen (Knochenaufbau) notwendig sind oder ob anatomisch relevante Strukturen diese Implantatposition limitieren.

Nach der Planung kann jetzt auf der Basis des virtuell positionierten Implantats eine Schablone erstellt werden, bei der mithilfe von Führungshülsen sowohl der Implantatvektor als auch die Implantat­insertions­tiefe festgelegt werden kann.

Screenshot der geplanten Bohrschablone (Implantatvektor durch die gelbe Achse gekennzeichnet)

Die virtuell erstellte Schablone kann anschließend an ein Referenzlabor gesendet werden und wird dort in eine reale Schablone überführt und an den Behandler geschickt. Auch wenn es schwierig klingt, ist es ein sehr praxistauglicher und zeiteffizienter Planungsvorgang.

Intraoperativ ermöglicht die Schablone dann die geführte Bohrung während der Implantation. Dazu werden unterschiedliche Reduzierinstrumente (gleiche Außen-durchmesser und unterschiedliche Innen­durchmesser) für das jeweilige Implantat­system entsprechend der verwendeten Bohrer­größen in die Führungs­hülsen eingesetzt. Sogar die Verwendung von Osteotomen (Instrumente zur Knochenverdichtung) ist durch die Schablone möglich und garantiert damit über den gesamten Verlauf der Aufbereitung eine achsengerechte Bohrung bzw. Verdrängung.

Sollte eine augmentative Maßnahme notwendig sein, so wird durch die Verwendung der Schablone eine genaue Positionierung des erforderlichen Augmentates gewährleistet. Der Operateur weiß durch die prothetische Rückwärtsplanung eindeutig, wo das Implantat idealerweise stehen soll und kann daher gezielt in den Bereich augmentieren, der ein knöchernes Defizit aufweist. Dadurch wird die Entnahme falsch dimensionierter Knochenblöcke und die Fehlpositionierung von Augmentaten vermieden.

Eine weitere Form der computerassistierten Therapie findet bei sehr komplexen Fällen (z. B. Befestigung von Zahnersatz bei extrem wenig Knochen im Oberkiefer) ihre Anwendung. Innerhalb der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie stellt die intraoperative Navigation schon seit Längerem einen wesentlichen Bestandteil der Therapieplanung und -durchführung dar. Die intraoperative Navigation kann mit den Navigationssystemen bei Fahrzeugen verglichen werden, bei denen Satelliten-empfänger im Fahrzeug die ausgestrahlten GPS-Signale lokalisieren und so die Position eines Fahrzeugs bestimmen. Im Fall der intraoperativen Navigation erfolgt die Positions­bestimmung durch ein optisches oder magnetisches System zur Erfassung des Patienten sowie der verwendeten Instrumente. Die Landkarten entsprechen den präoperativ angefertigten 3-D-Röntgenbildern des Patienten und den Informationen der präoperativen Planung. Diese Form der Navigation wird verwendet, um z. B. Zygomaimplantate zu inserieren. Diese werden durch die Kieferhöhle im Jochbein­massiv verankert und können dadurch dem Patienten mehrere umfangreiche Operationen, bei denen häufig Knochen aus dem Beckenkamm entnommen und in den Oberkiefer eingesetzt werden, ersparen. Diese Implantate unterscheiden sich von den konventionellen Implantaten dadurch, dass sie zwischen 30 bis 60 mm lang sind. Sie werden meist in Kombination mit konventionellen Zahnimplantaten verwendet, um einen Zahnersatz auch in diesen schwierigen Fällen befestigen zu können.

Screenshot eines virtuell geplanten Zygomaimplantates

Der Ausgangspunkt jeder Implantatplanung muss heute das prothetische Ergebnis sein, d. h. welche Art von Zahnersatz bei den gegebenen Voraussetzungen möglich ist und welche Wünsche der Patient hat. Somit bestimmt grundsätzlich der geplante Zahnersatz die Anzahl und Positionen der Implantate. Diese Form der Planung nennt man Rück­wärtsplanung (Backward-Planning) und ist vergleichbar mit dem Bau eines Hauses. Auch hier beginnt der Bau erst nach Abschluss der Planung; niemand wird auf die Idee kommen, ein Fundament zu erstellen, ohne zu wissen, wie das Haus später aussehen soll.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die digitale Technik zunehmend in alle Bereiche der zahnärztlichen Praxis eingreift. Digitale Dokumentation und Abrechnung, digitales Röntgen oder digitale Abformungen sind zunehmend Bestandteil zahnärztlicher Routine. Die digitale Planung und intraoperative Kontrolle von chirurgischen Eingriffen ist somit nur die logische Konsequenz. Bereits heute ist es möglich, einen Patientenfall soweit virtuell zu planen, dass zum Zeitpunkt der Implantatinsertion ein individuelles Provisorium oder sogar im Sinne einer Sofortbelastung ein individuelles Abutment mit der endgültigen prothetischen Versorgung vorliegt. Das setzt die Übereinstimmung der geplanten mit der klinisch erreichten Implantat­position voraus und kann bestmöglich durch eine computer­assistierte Planung und operative Umsetzung erfolgen.

Fazit

Diese Methode erlaubt es, Planungen auch bei schwierigsten anatomischen Verhältnissen genauer umzusetzen, was bedeutet, dass man – falls erforderlich – mit weniger Knochen auskommen kann, als ohne diese Art der Implantatplanung. Ferner ermöglicht es eine nonverbale Kommunikation zwischen den verschiedenen fachspezifischen Therapeuten (Prothetiker, Chirurgen).

Fotos: Panthermedia/everythingpossible | Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover

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