Artikel erschienen am 11.04.2011
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Bauen im Bestand

Erhöhte Anforderungen an das Projektmanagement

Von Dipl.-Ing. Jan Laubach, Braunschweig

Das Bauen im Bestand gewinnt in Deutschland immer mehr an Bedeutung. Experten gehen davon aus, dass in naher Zukunft ca. 70 % aller Bauinvestitionen auf Maßnahmen in den vorhandenen Gebäudebestand entfallen. Das Bauen im Bestand beginnt bei einfachen Instandhaltungsarbeiten, geht weiter über umfangreichere Sanierungen bis hin zu komplexen Umnutzungen.

Besonderheiten des Bauens im Bestand

Beim Bauen im Bestand treten meist drei maßgebliche Projektumstände auf, die sich deutlich vom Neubau „auf der grünen Wiese“ unterscheiden:

1. Der Bestand ist oft alt. Belastbare Informationen zur technischen Ausstattung oder z. B. der exakten Trag- und Gründungskonstruktion fehlen. Die Kenntnis über Bauteilaufbauten und verwendete Baustoffe ist oft unvollständig. Mit Bauschadstoffen oder bei gewerblich oder industriell genutzen Immobilien ist zusätzlich auch mit Altlasten zu rechnen. Weiterhin können versteckte Mängel und Schäden, die bei der Begehung nicht erkannt wurden, im Zuge des Bauprozesses auftreten. Der Planer ist hier im Hinblick auf eine vollständige Grundlagenermittlung und Zustandserfassung gefordert. Ggf. sind Sonderfachleute hinzuzuziehen.

2. Die Gebäude befinden sich in der Regel in einem engen städtebaulichen oder zumindest nachbarlichen, baulichen Kontext. Dies macht sehr oft Logistikkonzepte erforderlich, die die Belange der Baustelleneinrichtung mit der nachbarschaftlichen Situation und der Aufrechterhaltung der verkehrlichen Erschließung vereinen müssen.

3. Das zu sanierende oder sogar komplett umzubauende Gebäude ist oft nicht leerstehend. Umfangreiche Bauarbeiten sind im teil- oder auch vollständig genutzten Zustand durchzuführen. Bei gewerblich oder industriell genutzten Gebäuden ist ein möglichst ungestörter Produktionsbetrieb trotz Baumaßnahme sicherzustellen.

Risiken in der Ausführungsphase

Viele dieser besonderen Anforderungen aus dem „Bauen im Bestand“ können im Rahmen der Planungsphase gelöst und somit Umsetzungsrisiken minimiert werden. Aber gerade auch in der eigentlichen Ausführungszeit sind besondere Punkte im Rahmen des Projektmanagements zu beachten:

Risiko 1: Aufrechterhaltung der permanenten Ver- und Entsorgung

Insbesondere umfangreiche Erneuerungen der Gebäudetechnik im Bestand müssen bei genutzten Gebäuden stets eine Aufrechterhaltung des Betriebes ermöglichen. Teilweise sind die neuen Ver- und Entsorgungssysteme im Gebäude parallel zu den Altinstallationen einzubauen. Die Umschlüsse von alt auf neu dürfen – wenn überhaupt – die Betriebsfähigkeit der Immobilie nur kurzfristig unterbrechen. Gerade bei gewerblichen oder öffentlich genutzten Immobilien erfolgen diese Umschlussarbeiten oftmals nachts oder an Feiertagen. Besonders sensibel sind diese Zeitplanungen bei Produktionsbetrieben im 3-Schicht-System, die quasi an 365 Tagen rund um die Uhr produzieren. Genaue terminliche Abstimmungen mit Betriebs- und Zulieferverpflichtungen sind erforderlich.

Risiko 2: Gewährleistung der Betriebs- und Nutzungserlaubnis

Eingriffe in den Bestand können teilweise die für die Nutzung und den Betrieb des Gebäudes zugrunde gelegten Auflagen verletzen. Beispielhaft kann das Auflösen von Brandabschnitten durch – wenn auch nur für kurze Zeit – geöffnete Brandschutzwände oder aber z. B. die Nichtverfügbarkeit des 2. Rettungsweges beispielsweise im Zuge der Erneuerung eines Fluchttreppenhauses der Fall sein. Auch müssen übrige sicherheitsrelevante Einbauten – wie z. B. Sprinkler-/Brandmelde- oder auch Alarmanlagen etc. – stets in jedem Bauzustand voll funktionsfähig sein. Im schlimmsten Fall kann bei Nichtbeachtung der ursprünglich für den Betrieb und die Nutzung definierten Auflagen und Bestimmungen eine Stilllegung des Betriebes oder ein Freizug des Gebäudes auferlegt werden. Auch kann der Verlust des Versicherungsschutzes (z. B. Sachversicherung im Brandfall) eintreten.

Risiko 3: Baulogistik

Gerade beim Bauen im Bestand im genutzten Zustand tritt immer wieder das Problem auf, dass die logistischen Probleme des Baubetriebes durch Baustelleneinrichtung und Materialfluss nicht auf die Belange der Nutzer oder des Betriebes der Bestandsimmobilie abgestimmt sind. Dies beginnt bei den benötigten Lagerflächen im Außenbereich, die oftmals Stellplätze, Verkehrswege oder sogar Feuerwehrzufahrten und Anlieferungsflächen verstellen. Es kann aber auch den Innenbereich betreffen, wenn sich Nutzer oder Besucher die Verkehrsflächen mit der Materialanlieferung der Baustelle teilen müssen. Ebenfalls nicht statthaft: die Lagerung von teilweise sogar brennbaren Baumaterialien in Flucht- und Rettungswegen während der Bauphase.

Risiko 4: Unzureichende Terminplanung

Das Bauen im Bestand erfordert hohe Anforderungen an die Terminplanung. Insbesondere sind regelmäßig Vorlaufzeiten für die eigentliche „Baufreimachung“ einzuplanen. Dies beinhaltet den Um- und Freizug der zu sanierenden oder umzubauenden Flächen. Bei Industrieumbauten sind exakte Terminvorgaben z. B. zum Abbau und der Umverlagerung von Maschinen im Vorfeld der Einzelbaumaßnahmen zu berücksichtigen. Maschinen- /Produktionsstillstandzeiten im Zuge z. B. von Umschlussarbeiten sind exakt mit Montage- und Werksleitung zu planen und strikt einzuhalten. Um Stillstandzeiten auf der Baustelle und Mehrkosten für den Auftraggeber während der abschnittsweisen Umzüge und Baufreimachungen zu vermeiden, sind exakte Detailablaufpläne zwingend erforderlich.

Fazit

Das Bauen im Bestand und gerade auch bei der Forderung der Aufrechterhaltung der Nutzung und des Betriebes benötigt ein weites und umfassendes Vorausdenken des Planers. Dies geht weit über den eigentlichen Planungsgegenstand hinaus und erfordert weiterführende Expertise im Bereich der Logistik- und Terminplanung sowie dem Projektmanagement.

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