Artikel erschienen am 10.05.2017
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Das immobile Interview

Die wichtigsten Neubauprojekte vor Ort persönlich vorgestellt

Von Dipl.-Ing. Jan Laubach, Braunschweig

In Braunschweig und Wolfsburg entstehen derzeit neue Wohngebiete in erheblichem Ausmaß. Grund genug für die Service-Seiten Immobilien, mit den Oberbürgermeistern Ulrich Markurth und Klaus Mohrs über Strategien, Potenziale und Herausforderungen zu reden. Im Rahmen des vom Beirat geführten Interviews stellten die Oberbürgermeister die wichtigsten Neubauprojekte vor Ort persönlich vor.

Laubach: Welche unterschiedlichen Merkmale existieren, die den jeweiligen Immobilienmarkt in Wolfsburg und in Braunschweig prägen?

Mohrs: Ich weiß gar nicht, ob es Unterschiede gibt. Ich glaube, beide Städte haben eine sehr große Nachfrage nach Wohnraum, die sich in Wolfsburg quer durch die unterschiedlichen Zielgruppen zieht. Etwas hat sich verändert: Lange wurde viel in Einfamilienhausgebiete investiert, aber mittlerweile haben wir eine große Anfrage nach Wohnungen, sodass wir jetzt sehr viel stärker im Geschosswohnungsbau aktiv sind. Hierzu kommen auch neue Segmente wie Wohnraum für Azubis oder Studenten.

Markurth: Wir haben eine große Diskrepanz zwischen den Oberzentren und der Region. In der Tat haben wir eine große Nachfrage in den beiden Städten, teilweise auch noch in den Mittelzentren. Aber bereits wenige Kilometer entfernt lässt die Nachfrage deutlich nach. Das macht es strukturell und raumordnungspolitisch etwas schwierig. Auch in Braunschweig ist festzustellen, dass es in allen Segmenten Nachfrage gibt. Ein Unterschied ist, dass Braunschweig deutlich weniger Flächen hat, wir also flächenoptimiert planen müssen.

Laubach: Wie sieht die Strategie für den gewerblichen Immobilienmarkt und den Büromarkt aus? Besteht überhaupt der Bedarf nach Büroflächen?

Mohrs: Wir haben aktuell eine riesige Nachfrage nach Büroflächen, insbesondere im innenstadtnahen Bereich. Wir halten Ausschau nach Verkaufsflächen für den örtlichen Einzelhandel. Auch wo weitere Bereiche von Volkswagen zum Beispiel zur Elektromobilität unter­gebracht werden, müssen wir jetzt gemeinsam mit dem Konzern planen. Hierfür haben wir aber mit einer großen Fläche nördlich des VW-Werkes bereits vorgesorgt. Die digitale Welt wird in den nächsten Jahren in Wolfsburg eine große Rolle spielen. Mit Volkswagen planen wir, Kongressräumlichkeiten und Büroflächen direkt gegenüber dem Werk zu errichten. Wir wollen ähnlich wie Google eine Campusidee für die Menschen realisieren, die dort arbeiten und leben können.

Markurth: Für Braunschweig kann ich sagen, dass es eine sehr große Nachfrage nach Gewerbeimmobilien gibt und nur wenig Flächen, die dafür noch zur Verfügung stehen. Deshalb haben wir im letzten Jahr ein neues Gewerbeflächenentwicklungskonzept vorgelegt – auch unter Berücksichtigung interkommunaler Lösungen. Wir prüfen gemeinsam mit der Stadt Salzgitter derzeit ein interkommunales Gewerbe- und Industriegebiet. Bei den Büroflächen konnten wir in den letzten Jahren einen erheblichen Flächenzuwachs generieren.

Laubach: Wie findet denn die Abstimmung zwischen den Zentren Wolfsburg und Braunschweig zu diesen Themen statt, da beide Städte auf die gleichen Zielgruppen setzen?

Mohrs: Aufgrund des großen Bedarfs in beiden Städten muss keiner die Sorge vor allzu großer Konkurrenz haben. Wir stimmen uns sehr häufig ab, sodass wir wissen, was in Braunschweig geplant ist und die Braunschweiger wissen von uns, was wir planen. Wenn wir uns an irgendeiner Stelle ins Gehege kämen, würden wir über eine Lösung reden.

Markurth: Die Sorge habe ich auch nicht. Bei Großprojekten ist die Raumordnung zu beteiligen, die über den Regionalverband Großraum Braunschweig organisiert wird. Wir informieren uns regelmäßig, um zu schauen, ob es eine ähnliche Strategie gibt und wo wir uns ergänzen. Beim Thema Digitalisierung haben wir eine enge Abstimmung verabredet und werden vieles gemeinsam entwickeln. Braunschweig kann von den Überlegungen bei Volkswagen profitieren und hat beim autonomen Fahren die Vorreiterrolle. Die grundsätzliche Abstimmung ist wichtig, sodass wir großen Playern gegenüber gemeinsam mit unseren Stärken auftreten.

Laubach: Welche Trends in der Region halten Sie für den Immobilienmarkt in den nächsten Jahre für wegweisend? Wie sieht es mit der Elektromobilität aus?

Mohrs: In unseren großen Neubaugebieten Steimker Gärten, Hellwinkel-Terrassen und Nordsteimke-­Heh­lin­gen, in denen insgesamt 5 000 Wohneinheiten ent­stehen, schaffen wir gleich eine Infrastruktur für Smartcity-Elemente, neue Mobilitätswelten und Elektro­mobilität. Wolfsburg wird bis 2021 komplett mit Glasfaser ver­sehen, weil der Trend nicht nur am Arbeitsplatz zu arbeiten, sondern auch von zuhause aus, weiter zunehmen wird.

Markurth: Ich will auf zwei Trends hinweisen. Der eine ist, und das mag uns etwas von Wolfsburg unterscheiden, die noch stärkere Nachfrage nach günstigem Wohnraum. Das hängt mit der für Großstädte charakteristischen Einkommensstruktur der Stadt zusammen. Dem kommen wir nach, gerade im März ist unser kommunales Handlungskonzept vom Rat verabschiedet worden, das Maßnahmen benennt, wie wir günstigen Wohnraum schaffen und sozialen Wohnungsbau fördern können. Bei diesem Thema brauchen wir aber auf alle Fälle mehr Unterstützung, insbesondere vom Land Niedersachsen.

Der zweite Trend bezeichnet Digitalisierung, neue Mobilität und veränderten Mobilitätsmix. Diesen Trend haben wir in den Planungen für die Nordstadt schon abgebildet, wo wir z. B. die Einstellplatzzahl reduziert haben. Das verringert auch die Baukosten. Wir entwickeln dort ein Stadtquartier neuer Art, das exemplarisch sein könnte für alle weiteren Entwicklungen Braunschweigs. Eine wichtige Rolle in dieser Frage spielt dabei auch die Stärkung des ÖPNV: Wie binden wir neue Wohngebiete an? Das alles hat nicht unerhebliche Dimensionen: In der Nordstadt sollen in den kommenden Jahren rund 1 500 neue Wohnungen entstehen. Insgesamt schaffen wir in Braunschweig bis 2020 Baurecht für etwa 5 000 neue Wohneinheiten im Rahmen unseres Wohnraumversorgungskonzeptes.

Mohrs: Ich würde an einer Stelle kurz ergänzen wollen. Der soziale Wohnungsbau ist für uns auch von Bedeutung. Dies wird oft vergessen. Auch in einer Stadt, wo einige Menschen viel Geld verdienen, gibt es weiter­hin eine Anzahl von Menschen, denen es wirtschaftlich nicht so gut geht. Die Azubis und Studierenden habe ich eben bereits angesprochen. Außerdem sollen auch die Flüchtlinge, die bis auf Weiteres nicht in ihr Heimatland zurück können, nicht langfristig in provisorischen Unterkünften leben. Das ist für ihre Integration ganz wichtig. Deshalb ist das Thema sozialer Wohnraum für uns vielleicht nicht ganz so bedeutend, wie in manch anderer Großstadt, aber es ist ein wichtiges Thema. Wir haben den Ratsbeschluss, in den größeren Bau­gebieten 25 % des Mietwohnungsbaus als sozialen Wohnungsbau zu realisieren.

Laubach: Die Baugenehmigungsplanung dauert aus Sicht der Investoren viel zu lange. Sehen Sie das auch so oder braucht alles seine Zeit? Ist diese Kritik a) berechtigt und b) gibt es Lösungsansätze in der Bauverwaltung, um schneller mit den Genehmigungen durchzukommen?

Mohrs: Die Genehmigungen durch die Kommunen sind nicht das Problem. Die Vorläufe liegen an den gesetzlichen Vorgaben, die wir haben und mir auch manchmal zu aufwendig sind. Wenn es vom ersten Gedanken bis zu einer Fertigstellung 4 bis 5 Jahre braucht, obwohl die Bauten dringend benötigt werden, ist das schwer zu akzeptieren. Große Baugebiete wie die Hellwinkel-Terrassen oder Nordsteimke-Hehlingen bedürfen allerdings einer guten Rahmenplanung. Was wir hier erschaffen, muss langfristig ein lebenswerter Wohnraum sein. Die Menschen haben den Anspruch mitzureden, was ich auch richtig finde. Das verzögert vielleicht einen Prozess etwas, vergrößert aber in aller Regel die Akzeptanz und trägt zu einer besseren Lösung bei. Ich erlebe oft in der Diskussion mit den Menschen vor Ort wichtige neue Dinge, die wir bisher nicht einbezogen hatten. Es ist besser, länger zu brauchen, um dann ein gutes Ergebnis zu haben. Immobilien sollten ja möglichst lange stehen. Die Investoren sagen uns übrigens immer wieder, dass Wolfsburg bei den Baugenehmigungen sehr schnell ist.

Markurth: Das eine ist die Regelungsdichte per Gesetz, die man unterschiedlich bewerten kann. Wir haben diese zu beachten, was sicherlich zu längeren Verfahren führt. Sie schützt allerdings auch die Investoren. Wir haben in Großstädten häufig Interessenkonflikte, die gut abgewogen werden sein müssen, damit es im Nach­hinein nicht zu Klagen kommt. In einem Abwägungsprozess ist alles transparent darzustellen, die vielen Beteiligten werden mitgenommen. Das ist letztlich auch ein Schutz für alle, die gute Pläne haben. Viele Baugenehmigungen würden übrigens auch wesentlich schneller gehen, wenn die eingereichten Bauunterlagen schon zu Beginn vollständig wären. Und Boom hin, Boom her, ich hätte mir schon gewünscht, dass nicht erst jetzt, sondern schon vor einigen Jahren investiert worden wäre. Jetzt ist der Boom da, da erwarten alle, dass sie nun zur gleichen Zeit die Genehmigungen kriegen, was schlichtweg aufgrund der Vielzahl der Verfahren nicht möglich ist. Wir haben in der Bauverwaltung erheblich aufgestockt und die einfachen Verfahren von den schwierigen, komplexen Projekten getrennt, um die Abläufe weiter zu verschlanken und zu optimieren, wo es möglich ist. Wir haben in der Verwaltung unsere Hausaufgaben gemacht.

Laubach: Hohe Grundstückspreise und planungsrechtlichen Auflagen stehen dem kostengünstigen Bauen und gerade auch dem sozialen Wohnungsbau entgegen. Gibt es für zukünftige Bebauungspläne schon ein paar „lessons to learn“ aus den bisherigen Entwicklungen?

Mohrs: In den Hellwinkel-Terrassen haben wir einen sehr anspruchsvollen Bebauungsplan aufgestellt, um ein tolles Stadtquartier zu entwickeln. Wir werden bei den nächsten Planungen aber noch etwas kritischer sein: Was verteuert das Bauen und was ist wirklich notwendig? Schwierig ist die Planung auch, weil wir den Anspruch haben, mit zu bedenken, wie sich Mobilität verändert, und dafür gleich die Voraussetzungen zu schaffen. Überlegenswert ist es zum Beispiel ein Parkhaus zu bauen, zu denen die Autos abends alleine fahren. Die Planer haben schon viele kluge Ideen für künftige Lösungen. Es ist allerdings nicht einfach, es den Menschen heute schon deutlich zu machen. Im Übrigen baut unsere städtische Wohnungsgesellschaft Neuland in den Hellwinkel-Terrassen Wohnungen, die sie zu rund 7 Euro Kaltmiete anbieten wird. Das ist also möglich.

Markurth: Wir haben ganz unterschiedliche Quartiere und ich würde auch unterschiedliche Ansprüche stellen wollen. Wir haben die Nordstadt: Dort entsteht ein neuer Stadtraum, der nach den neuesten Erkenntnissen gestaltet werden soll, der innenstadtnah und relativ groß ist. Der Bereich muss auch ganz neu erschlossen werden, weil es dort bisher eher Gewerbe und wenig Wohnen gab. Da ist auch ganz viel Lernen in dem Prozess integriert und selbstverständlich lernen wir für alle weiteren kleineren Projekte, die wir in der Stadt haben. Wir müssen mit der Politik diskutieren: Will man schnell bauen? Will man preiswert bauen? Will man speziellen Anforderungen nachkommen? Und wir versuchen das bezogen auf das jeweilige Quartier darzustellen und entsprechend zu realisieren.

Laubach: Die großen Neubauprogramme basieren auf der Prognose steigender Einwohnerzahlen. Wie gehen wir damit um, wenn die Prognosen nicht zutreffen und Leerstand produziert wird? Gibt es einen „Plan B“?

Mohrs: Für mich gibt es keinen „Plan B“! Ich bin eher überzeugt, dass wir sogar noch 10 000 Wohnungen zu wenig bauen. Der Trend, in die Großstädte zu ziehen, wird in den nächsten Jahren bleiben. Ein neues Familien­bild führt dazu, dass Eltern relativ schnell nach der Geburt von Kindern arbeiten gehen. Sie sind darauf angewiesen, dass die Infrastruktur für Kinder, für Bildung, Wohnen und Arbeiten nah beieinander liegt. Wolfsburg hat seit einigen Jahren keinen Leerstand in Miet­wohnungen mehr, was ungesund ist, weil wir 3 bis 4 % Leerstand brauchen, um sanieren und modernisieren zu können.

Markurth: Wir reden nicht über Trends, sondern im Moment über Situationen, die nachvollziehbar sind. Da zeigt sich ganz klar: Wir brauchen auf absehbare Zeit deutlich mehr Wohnraum. Auch in Braunschweig gibt es rechnerisch keinen Leerstand, was in der Tat aus den von Herrn Mohrs beschriebenen Gründen problematisch ist. Es wird innerstädtisch weiter mit hoher Qualität gebaut und wir gehen zunehmend weg von der grünen Wiese. Ich bin mir auch sicher, dass der Trend des Zuzugs in die Städte bestehen bleiben wird. Das geht natürlich auch zu Lasten anderer Bereiche in unserem Land, auch in unserer Region. Dafür müssen wir mit vielen öffentlichen Geldern die Infrastruktur schaffen, insbesondere für Bildungseinrichtungen. In der Nordstadt etwa bauen wir die Grundschule für mehrere Millionen aus und werden zudem eine neue Kita brauchen.

Laubach: Was wird neben den ganzen Wohnungsbauthemen gerade bei der öffentlichen Infrastruktur weiterverfolgt? Der Investitionstau in der öffentlichen Infrastruktur ist gemäß der aktuellen KfW-Studie weiter gestiegen. Sind ggf. andere Beschaffungsvarianten durchaus auch wieder ein Thema?

Markurth: Alles, was wir machen, leidet im Moment, sowohl was die Preisgestaltung als auch die Umsetzungs­geschwindigkeit anbelangt. Das liegt nicht an falscher Planung, sondern am aktuellen Marktgeschehen. Wir haben Haushaltsreste, also Dinge, die immer wieder verschoben werden, weil sie schlichtweg nicht abgearbeitet werden können. Da werden wir nicht nur Gehirnschmalz, sondern auch zusätzliches Geld für Manpower investieren müssen. Für viele ist das immer noch nicht schnell genug. Aber ehrlich gesagt: Mehr geht nicht! Wir haben gute Erfahrungen gemacht mit großen PPP-Modellen, etwa im Schulbereich, und würden im Moment nichts ausschließen, weil die Umsetzung des Bauprogramms uns wichtiger ist, als an irgendwelchen ideologischen Gräben anzuhalten.

Mohrs: Wir werden in den nächsten Jahren viel Geld in die Schulmodernisierung stecken. Aktuell sind wir außerdem in der Planung von 10 neuen Kindertagesstätten, weil unsere Geburtenrate so hoch ist. Das freut mich natürlich, weil es zeigt, dass Familien mit Kindern sich in Wolfsburg wohl fühlen. Mit dem Bau der Kindertagesstätten haben wir aber auch ein riesiges Programm vor uns. Darüber hinaus beschäftigen uns die Themen Brandschutz und Sportstättensanierung. Auch dafür sind eine Menge Investitionen notwendig.

Laubach: Sehr geehrter Herr Markurth, sehr geehrter Herr Mohrs, wir danken Ihnen sehr für dieses Gespräch!

Fotos: Thomas Gasparini

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