Artikel erschienen am 01.06.2011
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Die deutsche Stiftungslandschaft

Von Prof. Dr. iur. Hans Fleisch, Berlin

Mit Stiftungen übernehmen seit Jahrhunderten Menschen freiwillig Verantwortung für das Gemeinwohl. Heute sind Stiftungen eine verlässliche Säule der freiheitlich-aktiven Bürgergesellschaft. Und diese Säule ist in den vergangenen Jahren größer, breiter und damit stabiler geworden.

Jahrzehnt der Reformen und des Wachstums
Die Grundgesamtheit aller Stiftungen ist weiter unbekannt. Immerhin kann über die jährliche Umfrage des Bundesverbandes bei den Stiftungsaufsichtsbehörden die Zahl der rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts (nach §§ 80–88 BGB) bestimmt werden. Zum Jahresende 2010 existierten 18 162 Stiftungen dieser Art. Heute werden jährlich jeweils über 800 Stiftungen dieses Typs errichtet.

Im vergangenen Jahrzehnt erfuhren Stiftungen nicht nur in der breiteren Öffentlichkeit zunehmend Wertschätzung – ihr wichtiger und wachsender Beitrag zur Förderung des Zusammenhalts der Gesellschaft wurde längst auch von der Politik wahrgenommen: durch drei große bundesgesetzliche Reformen und die Reform sämtlicher Landesstiftungsgesetze. In Politik wie Gesellschaft wächst die Einsicht, dass auch aus nicht finanziellen Gründen Staat und Wirtschaft die aktuellen Herausforderungen nicht alleine meistern können.

Mit dem Wachstum der Zahl sind auch Vielfalt und Vielseitigkeit der Stiftungslandschaft gewachsen – in ihren Zwecksetzungen, rechtlichen Ausprägungen und Arbeitsweisen und Akteuren. Die Vielfalt selbst ist das hervorstechendste Merkmal – und von großem Wert für die Gesellschaft. Während die ersten Stiftungen – von denen die ältesten noch bestehenden jetzt nahezu 1000-jährig sind – überwiegend sozialen Anliegen gewidmet waren, sind Stiftungen mittlerweile in vielen Bereichen der Gesellschaft aktiv. Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur haben sich bereits zu klassischen Betätigungsfeldern von Stiftungen entwickelt. Neue stifterische Strömungen entstehen vor allem dort, wo öffentliche Debatten den Handlungsbedarf erhöhen: Ob beim Umweltschutz und der Suche nach einer neuen Energiepolitik oder auch der Förderung der Integration und des lebendigen Mit­einanders verschiedener Kulturen.

Einzelne Trends

Erfreulich positiv entwickelt sich das noch junge Segment der Bürgerstiftungen. Heute existieren über 250 Bürgerstiftungen in Deutschland. Mittlerweile gibt es rund 16 000 Stifterinnen und Stifter, die sich mit ihrem – meist überschaubaren – Beitrag zum Stiftungskapital in eine Bürgerstiftung vor Ort einbringen. Damit ist die Gruppe der Stifter in Bürgerstiftungen die größte lebende Stiftergruppe überhaupt. Das dynamische Wachstum der Bürgerstiftungen ist ungebrochen. Das Wachstum der Finanzkraft bestehender – heute meist kleiner – Bürgerstiftungen könnte mittelfristig zu einer wichtigen Finanzierungsquelle bürgerschaftlicher Aktivitäten auf kommunaler Ebene werden.

Noch stärker gewachsen sind in den letzten zwei Jahrzehnten die Zahl der Sparkassenstiftungen sowie sonstigen Unternehmensstiftungen. Es bleibt abzuwarten, ob in diesem Segment, wie es scheint, jetzt ein gewisser Plateaueffekt eingetreten ist.

Die regionale Verteilung des Stiftungswachstums ist bei insgesamt positiver Entwicklung nach wie vor sehr unterschiedlich. Den Spitzenplatz bei den Neuerrichtungen im Jahr 2010 – in absoluten Zahlen – belegt heute wie in den Vorjahren das bevölkerungsreichste Land Nordrhein-Westfalen, dicht gefolgt von Bayern sowie Baden-Württemberg mit 124 Errichtungen. Bezogen auf die Einwohnerzahl sind in den Flächenländern die Hessen am stiftungsfreudigsten. Im stiftungsarmen Osten gibt es dagegen nur eine zarte kleine Blüte auf niedrigem Niveau.

Der überwiegende Teil der rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts wird nach wie vor durch Privatpersonen ins Leben gerufen, der Rest durch juristische Personen des privaten oder öffentlichen Rechts. Bei den natürlichen Personen, den Stiften, wächst laufend der Anteil der Frauen. Während bis Ende der 1980er Jahre die Mehrzahl der deutschen Stifter männlich war, sind heute an über 60 % der Stiftungserrichtungen Frauen als Stifterinnen mindestens beteiligt. Ein Viertel aller Stiftungen wird allein von Frauen gegründet.

Fast alle neuen errichteten Stiftungen sind gemeinnützig. Der größte Teil der deutschen Stiftungen wird zu Lebzeiten gegründet. Von den seit 1990 ins Leben gerufenen Stiftungen sind es sogar 87 %. Nachlassstiftungen, mit denen die Menschen erst nach ihrem Ableben Gutes für die Gemeinschaft tun wollen, verlieren somit immer mehr an Bedeutung. 72 % der Stifter wollen sich persönlich in der von ihnen begründeten Initiative engagieren.

Stiftungsfinanzen – die Grundlagen ihrer Leistungskraft

Stiftungen haben Geld – dieses Diktum ist fast schon in das Allgemeinwissen der Bürger eingegangen, weil man von einzelnen Stifterpersönlichkeiten wie Fugger, Bosch und Hopp auf die gesamte Stiftungslandschaft schließt. In dieser Aussage steckt viel Richtiges und einiges Falsche. Richtig ist, dass Stiftungen ein Vermögen haben müssen – aus rechtlicher Sicht ist ihr Vermögen ja gerade das konstitutive und charakteristische Merkmal (dass es gleichwohl vermögenslose Stiftungen des öffentlichen Rechts gibt, ist eine Ausnahme und im Übrigen für die Stiftungsidee nicht gerade förderlich). Falsch ist es jedoch, anzunehmen, dass alle deutschen Stiftungen ein großes Vermögen haben, aus dem sie Geld wie aus einem nie versiegenden Füllhorn ausschütten. Im Gegenteil: Bei einer großen Zahl von Stiftungen ist die Vermögensausstattung überwiegend gering. Nimmt man alle Stiftungen in den Blick, liegt das geschätzte Vermögen bei über 100 Mrd. Euro, wobei die Mehrheit des Vermögens von einer überschaubaren Minderheit von großen Stiftungen gehalten wird.

Aus der Vielzahl der unterschiedlichen Einnahmequellen von Stiftungen erklärt sich, dass die Gesamtausgaben nicht anhand einer durchschnittlichen Verzinsung des Gesamtvermögens errechnet werden können. Bei Trägerstiftungen gibt es oft Leistungsentgelte (Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Schulen …) oder Haushaltszuschüsse (Museen, Institute …) als durchlaufende Posten. Die in der Datenbank Deutscher Stiftungen vorhandenen Daten führen zu einer Schätzung von etwa 16 Mrd. Euro Zweckausgaben p. a. der rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts, die rein gemeinnützige Zwecke verfolgen. Davon dürften rund 5 Mrd. Euro aus Vermögenserträgen und knapp 2 Mrd. Euro aus anderen eigenen Einnahmen wie Spenden oder wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb stammen.

Zwecke und Schwerpunkte der Stiftungsarbeit

Neben dem Vermögen bezeichnet der Zweck ein weiteres konstitutives Merkmal der Stiftung. Gemeinsam ist den meisten Stiftungen bei aller Unterschiedlichkeit in ihrer Zweckbindung und Schwerpunktsetzung, dass sie einen Bereich gesellschaftlicher Aufgaben fördern, der – jedenfalls nach Meinung des Stifters oder Stiftungsverwalters – nicht ausreichend oder angemessen Berücksichtigung findet.

Die Schwerpunkte der Stiftungstätigkeit liegen bei den rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts auf der Förderung sozialer Zwecke, gefolgt von Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur sowie Wissenschaft und Forschung. Die überwiegende Zahl der Stiftungen gibt in ihrer Satzung mehrere gemeinnützige Zwecke als Tätigkeitsgebiete an. Dadurch besteht für sie die Möglichkeit, durch innovative und ungewöhnliche Kombinationen auf spezifische Problemlagen und Nachfragen zu reagieren.

Bei den Neugründungen bietet sich hingegen ein anderes Bild als bei der Verteilung im Bestand der Stiftungen. Große Zuwächse sind insbesondere im vergleichsweise jungen Feld des Umweltschutzes zu verzeichnen. Der Umweltschutz hat sich seit den 1980er Jahren einen festen Platz in der Stiftungswelt gesichert. Der traditionell wichtigste Stiftungszweck Soziales ging mit dem Ausbau des Sozialstaates in der Bundesrepublik Deutschland etwas zurück. Seit Anfang der 1990er Jahre liegt dieser Hauptzweck bei knapp 27 %. Seit einigen Jahren prägen vor allem Fragen der Integration im weiteren Sinne sowie die Bewältigung des demografischen Wandels das Handeln von immer mehr Stiftungen.

Fazit

Dieser Überblick zeigt, dass die deutsche Stiftungslandschaft insbesondere seit den 1980er Jahren einen Wandel erlebt. Die Bedeutung von Stiftungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wird weiter wachsen.

Bei den Errichtungszahlen der Jahre 2008 bis 2010 ist ein leichtes Abflauen der Stiftungsgründungsdynamik zu konstatieren, hervorgerufen durch die globale Wirtschaftskrise, die 2008 ihren Lauf nahm. Wegen der eher vorsichtigen Anlagestrategie der deutschen Stiftungen wurden bisher aber keine dramatischen längerfristigen Auswirkungen auf den Vermögensbestand oder gar Stiftungsauflösungen beobachtet.

Für den Erhalt und die Weiterentwicklung unseres vielfältigen Stiftungswesens ist es wichtig, dass Stiftungen auch weiterhin als wesentliche Gestalter unserer Gesellschaft in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und durch ihre Organisation und ihr Handeln zeigen, dass sie das ihnen entgegengebrachte Vertrauen verdienen.

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