Artikel erschienen am 03.03.2015
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Der Gesellschaftsvertrag

Auf dem aktuellen Stand oder im „Dornröschenschlaf“?

Von Dr. iur. Carmen Heermann, Hannover

I. Der Gesellschaftsvertrag als rechtliches „Muss“ jeder Gesellschaft

Jedes Unternehmen verfügt unabhängig von seiner Rechtsform über einen (schriftlichen) Gesellschaftsvertrag. Dieser bestimmt wichtige Grundlagen der Gesellschaft, wie z. B. den Namen (die Firma), den Zweck und den Sitz der Gesellschaft.

Zumeist ist es so, dass der Gesellschaftsvertrag bei Gründung der Gesellschaft verfasst und dann „zu den Akten“ genommen wird. Jede spätere Änderung des Gesellschaftsvertrages bei einer AG oder GmbH ist notariell zu beurkunden, was mit zusätzlichen Kosten und Aufwand verbunden ist. Ist man sich also im Gesellschafterkreis einig und sind keine zwingenden Neuregelungen umzusetzen, wird der Gesellschaftsvertrag meist stiefmütterlich behandelt und fristet jahrelang ein eher unbeachtetes Dasein im „Dornröschenschlaf“.

II. Rechtliche Neuerungen in den vergangenen Jahren

Aufgrund neuer Gesetze, die auch für Unternehmen Geltung haben, hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren für diverse Veränderungen gesorgt. So wurde z. B. im Jahr 2008 das GmbH-Recht in weiten Teilen geändert. Das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts aus dem Jahr 2009 hat Neuerungen im Hinblick auf die Rechnungslegung von Unternehmen mit sich gebracht. Zudem gab es weitreichende Änderungen im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, welche zu Beginn des Jahres 2009 in Kraft traten.

Sicherlich ist es so, dass nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls der Anpassungsbedarf des Gesellschaftsvertrages einer Gesellschaft bestimmt werden kann. Die Gesetzänderungen der letzten Jahre sowie die aktuelle Rechtsprechung gebieten es jedoch, die folgenden Punkte in einem Gesellschaftsvertrag in jedem Fall einer kritischen Prüfung zu unterziehen:

1. Anpassungsbedarf bei Abfindungsklauseln – die Rechtsprechung im Blick haben

Sog. „Abfindungsklauseln“ in Gesellschaftsverträgen sind ein immer wieder aktuelles Thema. In zweierlei Hinsicht kann sich hier Aktualisierungsbedarf ergeben. Zum einen stellen zahlreiche Gesellschaftsverträge auf das sog. „Stuttgarter Verfahren“ als Bewertungsverfahren ab. Dieses Verfahren gibt es nach verschiedenen Steuerreformen nicht mehr. In der Folge können derartige gesellschaftsvertragliche Regelungen im Streitfall zu Rechtsunsicherheiten führen, da im Wege der Auslegung ermittelt werden muss, welches konkrete Verfahren anstelle des nicht mehr existenten „Stuttgarter Verfahrens“ treten soll.

Zum anderen ist immer wieder Thema von Gerichtsentscheidungen der letzten Jahrzehnte, inwieweit es zulässig ist, die Abfindungszahlungen an ausscheidende Gesellschafter zu beschränken. Die Rechtsprechung hat dabei eine umfangreiche Kasuistik entwickelt, wobei zwischen verschiedenen Fällen des Ausscheidens eines Gesellschafters unterschieden wird. So sind beispielsweise für den Todesfall sehr viel umfangreichere Einschränkungen (bis hin zum völligen Abfindungsausschluss) zulässig als bei einer Kündigung durch einen Gesellschafter.

Entspricht die im Gesellschaftsvertrag vereinbarte Abfindung nicht den durch die Rechtsprechung entwickelten Wirksamkeitsvoraussetzungen, kann es dazu kommen, dass im Extremfall der Verkehrswert an die Stelle einer nichtigen Abfindungsregelung tritt. Hierdurch wird womöglich der von den Gesellschaftern verfolgte Zweck einer so weit wie möglich reichenden Beschränkung der Abfindung tatsächlich ins Gegenteil verkehrt.

2. Steuerliche Änderungen

Auch in steuerlicher Hinsicht gab es zahlreiche Änderungen in den letzten Jahren. Auch hier ist zu prüfen, inwieweit den neuen gesetzlichen Vorgaben im Gesellschaftsvertrag in sinnvoller Weise Rechnung getragen wird. Dies gilt z. B. im Personengesellschaftsrecht bei Kommanditgesellschaften hinsichtlich der Abgrenzung der verschiedenen Gesellschafterkonten. Denn diese haben nicht nur eine Bedeutung unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten, sondern auch unter steuerlichen Aspekten im Hinblick auf die Verrechnungsmöglichkeiten von Verlusten. Um die für die sofortige Verlustverrechnung erforderliche Eigenkapitalqualifikation zu ermöglichen, müssen die von der Finanzverwaltung aufgestellten Kriterien für Einlagekonten z. B. bei Kommanditgesellschaften erfüllt werden.

Als Tendenz ist zu beobachten, dass sich die Regelungen der Steuerbilanz immer weiter von den handelsrechtlichen Regelungen des HGB entfernen. Dies hat zur Folge, dass die in vielen älteren Gesellschaftsverträgen noch verhaftete Idee der sog. „Einheitsbilanz“ heute als eher veraltet betrachtet werden kann. Auch hier ergibt sich insoweit Aktualisierungsbedarf.

3. Reform des GmbH-Rechts 2008, z. B. verstärkte Bedeutung der Liste der Gesellschafter

Im Jahr 2008 kam es zu einer umfassenden Reform des GmbH-Gesetzes. Auch diese Reform macht Anpassungen der Gesellschaftsverträge von GmbHs erforderlich.

So ist die Bedeutung der sog. Gesellschafterliste z. B. deutlich gestiegen. Daher empfiehlt es sich, eine gesellschaftsvertragliche Regelung vorzusehen, nach der die Gesellschafter verpflichtet sind, Änderungen in ihrer Person unverzüglich der Geschäftsführung zu melden. Denn nur so ist die Geschäftsführung in die Lage versetzt, die Liste auf dem aktuellen Stand zu halten. Werden Geschäftsanteile eingezogen, gibt es neue gesetzliche Vorgaben hinsichtlich der erforderlichen Kapitalaufstockung nach der Einziehung.

III. Vorsorgevollmachten und Gesellschaftsvertrag

In der Praxis verstärkt sich die Nachfrage nach sog. Vorsorgevollmachten, mit denen Gesellschafter z. B. für den Fall, dass sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln können, Vorkehrungen treffen. Nicht selten enthalten die Vorsorgevollmachten auch Regelungen zur Ausübung von Gesellschafterrechten, insbesondere Stimmrechten. In derartigen Fällen ist strittig, wie sich z. B. die Ausübung von Stimmrechten aufgrund Bevollmächtigung in der Vorsorgevollmacht zu den Regelungen des Gesellschaftsvertrages verhält. Auch hier sollte der Gesellschaftsvertrag mit den Bestimmungen in der Vorsorgevollmacht im Einklang stehen, um später Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer Stimmabgabe zu vermeiden.

IV. Testamentarische Regelungen und die Übereinstimmung mit dem Gesellschaftsvertrag

Im Zuge der Nachfolgeplanung ist es angebracht, eine letztwillige Verfügung (z. B. ein Testament) zu verfassen. Ist eine Entscheidung für die Nachfolge gefallen, ist es in jedem Fall ratsam zu prüfen, ob der gewünschte Erbe/Vermächtnisnehmer der Firmenanteile überhaupt gemäß Gesellschaftsvertrag des Unternehmens nachfolgeberechtigt ist. Denn nicht selten enthalten Gesellschaftsverträge Beschränkungen in Bezug auf nachfolgeberechtigte Personen. So ist oft geregelt, dass z. B. nur Mitgesellschafter oder nur leibliche Abkömmlinge nachfolgeberechtigt sind.

V. Neue Kommunikationsmittel

Die Möglichkeit der Kommunikation per E-Mail kann auch im Gesellschaftsvertrag z. B. bei Einladungen zu Gesellschafterversammlungen oder bei Abstimmungen im Umlaufverfahren vorgesehen werden. Möglich sind auch Regelungen zu Telefonkonferenzen im Gesellschafterkreis. Die neuen Kommunikationsmittel sollten dabei im Sinne einer Erleichterung der „Formalitäten“ voll ausschöpft werden.

VI. Das Leben bringt Veränderungen – auch für den Gesellschaftsvertrag

Über die Jahre wandeln sich aber nicht nur die rechtlichen Grundlagen. Auch die persönlichen Verhältnisse ändern sich. Infolge einer Heirat kann beispielsweise auf einmal eine Ehegattin/ein Ehegatte Ansprüche an einem Geschäftsanteil haben, sollte der Gesellschafter versterben. Minderjährige Kinder könnten plötzlich als Erben infrage kommen. Oder es haben sich die Zukunftspläne eines Gesellschafters geändert. Die vielfältigen Veränderungen des Lebens sollten Anstoß sein, auch den Gesellschaftsvertrag einer genauen Durchsicht zu unterziehen.

VII. Fazit: Wecken Sie den Gesellschafts­vertrag aus dem „Dornröschenschlaf”!

Die letzten Jahre haben im Bereich des Gesellschaftsrechts viele Neuerungen gebracht. Sie geben Anlass, einen Blick in den Gesellschaftsvertrag zu werfen und kritisch zu hinterfragen, ob er noch die Anforderungen der Rechtsprechung und Gesetzgebung erfüllt.

In der Praxis empfiehlt es sich, den Gesellschaftsvertrag alle 1–2 Jahre auf seine Aktualität hin zu überprüfen. In diesem Turnus bietet sich die Möglichkeit, eine ggf. neue Rechtslage, aber auch die persönlichen Verhältnisse der Gesellschafter zu reflektieren. Den Fortbestand des Unternehmens im Blick, ist die Überarbeitung und Anpassung des Gesellschaftsvertrages dabei keine unnötige „Bürokratie“, sondern ein Grundstein für die Wahrung der Interessen der Gesellschafter.

Bild: Panthermedia/Mariia Kotciurzhinskaia

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