Artikel erschienen am 06.06.2015
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Implantate zur Kompensation von Kieferdefekten

Von Robert Leonhardt, Mannheim

Wenn der Wunsch oder die Notwendigkeit für einen Zahnersatz besteht, sind Patienten und Zahnärzte oft mit dem Problem eines zurückgebildeten Kiefers konfrontiert. Sollen dann Implantate gesetzt werden, ist abzuwägen ob ein Kieferaufbau notwendig ist, oder ob Implantate mit entsprechend geringeren Dimensionen oder einer speziellen Form den Kieferdefekt auch kompensieren können.

Hauptursachen für Zahnverlust sind Unfälle oder eine Parodontitis, die zum Schwund des Zahnfleischs führt. Sind Zähne ausgefallen, bildet sich der Kieferknochen an der betreffenden Stelle aufgrund der fehlenden physiologischen Belastung zurück – man spricht von einer Kieferatrophie. Nur ein im Knochen verankerter Zahnersatz kann im idealen, entzündungsfreien Verlauf das Fortschreiten der Atrophie verhindern. Implantate sind hier optimal, da sie im Gegensatz zu einer herkömmlichen Brücke den Druck, der beim Kauen entsteht, in den Knochen weiterleiten. Bei Misserfolgen entstehen allerdings weit größere Knochendefekte, die im schlimmsten Fall zur kompletten Prothesenunfähigkeit führen können.

Bei der Augmentation wird der Kieferkamm wieder aufgebaut. Es gibt verschiedene Methoden, auf die im Rahmen des vorliegenden Artikels nicht eingegangen werden soll. In verschiedenen Situationen kann es wünschenswert sein, einen Knochenaufbau zu vermeiden. Neue Entwicklungen in der Implantologie eröffnen heute einige Optionen für andere Verfahrensweisen.

Kurze und durchmesserreduzierte Implantate

Heute sind Implantate erhältlich, die jeweils um einige Millimeter kürzer sind oder einen reduzierten Durchmesser haben als Standardimplantate. Kurze Implantate können die Notwendigkeit einer vertikalen Erhöhung des Kieferkamms minimieren, während durchmesserreduzierte Implantate eine Augmentation zur Kieferkammverbreiterung vermeiden können.

Abb. 1: Durch Verwendung von kurzen oder schmalen Implantaten können Augmentationen vermieden werden.

Die Stabilität des Implantats definiert sich dabei nicht nur über die Länge oder den Durchmesser, sondern auch über die Qualität der Designmerkmale. Dazu gehören spezielle Implantatoberflächen, die eine schnellere Knocheneinheilung und -regeneration unterstützen. Genauso wichtig sind Eigenschaften, die Mikrobewegungen zwischen Implantat und dem Aufbau (Abutment) minimieren. Ein Implantatdesign, das den angrenzenden Knochen stimuliert, trägt ebenfalls zum Langzeiterfolg des Implantats bei.

Abgeschrägte Implantate

Die Rückbildung des Kieferkamms vollzieht sich oft auf der äußeren Seite des Kiefers (vestibulär) schneller als auf der Seite, die der Mundhöhle zugewandt ist (oral). Der Zahnarzt nennt das einen „schräg atrophierten“ Kieferkamm. Damit das Implantat bündig mit dem Kiefer abschließt, müsste für ein Standardimplantat die zurückgebildete (vestibuläre) Seite augmentiert werden. Implantate mit einer abgeschrägten „Implantatschulter“ oder Implantate mit einem geringenren Durchmesser können das vermeiden. Das Implantat passt sich in einen schräg atrophierten Kieferkamm ein und belastet den Knochen gleichmäßig nach allen Seiten hin (Abb. 2).

Abb. 2: Abgeschrägte Implantate für den schräg atrophierten Kieferkamm (ab Sommer 2015)

Abgewinkelte Aufbauten

Hier ist ein spezielles Verfahren für den Zahnersatz auf Implantaten zur Sofortversorgung von zahnlosen Patienten mit verschraubten Brücken oder Stegen zu nennen. In diesem Fall werden mehrere Implantate als Basis der Versorgung gesetzt, von denen aufgrund von Knochenrückbildung möglicherweise nicht alle vollständig gerade implantiert werden können. Diese Implantate verfügen über einen abgewinkelten Aufbauteil, der die Abwinklung des Implantats im Knochen ausgleicht. Darauf werden wiederum Aufbauteile gesetzt, die die Brücken oder Stege tragen.

Abb. 3: Mithilfe von schräg gesetzten Implantaten lassen sich Augmentationen und anatomisch kritische Bereiche umgehen – im Beispiel: ein Nerv (gelb).

Computergestützte Implantation

Wenn im Kieferkamm ein reduziertes Platzangebot vorliegt, sollte dieses durch ein möglichst präzises Einbringen der Implantate optimal genutzt werden. Dafür gibt es spezielle Planungssoftware-Systeme, die dem Zahnarzt eine 3-D-Planung der Chirurgie ermöglichen. Die vorliegende Anatomie des Kieferkamms wird analysiert und die bestmögliche Implantatposition ermittelt. Auf Basis dieser Planung wird eine individuelle Bohrschablone (Guide) angefertigt, die eine Implantatplatzierung in der jeweiligen Position ermöglicht. Die Visualisierung der geplanten Versorgung hat auch für den Patienten den zusätzlichen Vorteil, dass er die geplante Therapie mit dem Behandler besser besprechen kann.

Abb. 4: Die computergestützte Implantologie mit der Software Simplant ermöglicht eine sehr präzise Implantateinbringung.

Beratung für die neue Lebensqualität

Der technologische Fortschritt in der Implantologie geht zurzeit mit Riesenschritten voran. Ermöglicht wird dies durch die Forschung und Entwicklung in Kliniken, Universitäten und Praxen sowie durch die etablierten Implantathersteller. Vorhandene Implantatsysteme werden fortlaufend weiterentwickelt und haben sich bereits millionenfach bewährt. Auch die langfristige Verfügbarkeit von passenden prothetischen Bauteilen ist von Bedeutung, falls der Zahnersatz später einmal verändert oder erweitert werden muss.

In vielen Fällen ist es möglich, einen Knochenaufbau zu umgehen. Ob das in einem konkreten Fall sinnvoll und medizinisch angeraten ist, kann nur der Zahnarzt oder Implantologe entscheiden. Auf jeden Fall aber können Patienten heute auch in schwierigen Ausgangssituationen auf eine neue Lebensqualität mit Implantaten hoffen.

Bild: Dentsply Implants

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