Artikel erschienen am 28.03.2015
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Bezahlbare Mieten – lebenslanges Wohnrecht

Bei Genossenschaften sind die Mieter gleichzeitig Miteigentümer der Immobilien

Von Dipl.-Bankfachwirt Joachim Blätz, Braunschweig

„Mietpreisbremse“ und „bezahlbarer Wohnraum“ sind zwei Begriffe, die die wohnungspolitische Diskussion prägen. Die Mietpreisspirale macht sich vor allem auf dem Wohnungsmarkt in Ballungszentren bemerkbar. Gemeinsam mit den drastisch gestiegenen Nebenkosten, inzwischen auch „zweite Miete“ genannt, lassen sie das Wohnen für viele Menschen zu einem existenziellen Problem werden. In diesem Kontext nehmen Wohnungsgenossenschaften eine besondere Stellung ein.

Wohnungsgenossenschaften bieten als Unternehmen des Privatrechts ihren Mitgliedern nicht nur preiswerten Wohnraum zur lebenslangen Nutzung, sondern stellen darüber hinaus weitere Dienstleistungen bereit. Im Unterschied zu nichtgenossenschaftlichen Wohnungsunternehmen sind die Eigentümer einer Genossenschaft die Mitglieder und Mieter.

Die Stärken von Genossenschaften zeigen sich in schwierigen Zeiten wie bei Wohnraumknappheit. Mangelsituationen waren im 19. Jahrhundert die Geburtshelfer der Genossenschaften. Zuerst gründeten sich Spareinrichtungen für Handwerker, denn die durften bei den „feinen Banken“ kein Konto eröffnen – und erhielten schon gar keine Kredite. Es kamen Einkaufsgenossenschaften hinzu und später auch Wohnungsgenossenschaften, von denen die ersten 1848 und 1856 in Berlin gegründet wurden. Mitte des 20. Jahrhunderts – im kriegszerstörten Deutschland – waren es wieder Genossenschaften, die den Bau von Wohnungen vorantrieben. Es war auch die Geburtsstunde der Baugenossenschaft ›Wiederaufbau‹ eG in Braunschweig.

Mitgliedschaften sind damals wie heute begehrt, denn sie sind nicht nur der Schlüssel zu einer Wohnung. Sie beinhalten – ganz auf Grundlage des genossenschaftlichen Gedankens – über das lebenslange Wohnrecht und eine günstige Miete hinaus weitere Dienstleistungen. Als Mitglied hat man auch die Möglichkeit, sich als Vertreter der Genossenschaft wählen zu lassen und bei wichtigen, durch die Satzung geregelten Entscheidungen mitzuwirken. Der Weg zur Mitgliedschaft führt über die Beitrittserklärung und die Zulassung durch die Genossenschaft (Vorstand) bis zum „Zeichnen“ eines Anteils. Abhängig von der Höhe der Kaltmiete ist zur tatsächlichen Anmietung die Zeichnung weiterer Anteile nötig. Erst dann kann der Mietvertrag, in der Genossenschaft Dauernutzungsvertrag genannt, abgeschlossen werden.

Genossenschaftliches Wohnen bedeutet hohe Mietsicherheit. Inhaltlich gleicht der Dauernutzungsvertrag in wesentlichen Punkten einem Mietvertrag. In beiden sind die Rechte und Pflichten des Nutzers/Mieters in Bezug auf die Wohnung festgelegt: Hausordnung, Reparaturen, Nebenkosten, weitere Rechte und Pflichten etc. In beiden wird ein monatliches Nutzungsentgelt – also die Miete – vereinbart. Der Dauernutzungsvertrag bekräftigt darüber hinaus, dass das genossenschaftliche Nutzungsverhältnis auf Dauer angelegt ist und die Genossenschaft auf Kündigungen verzichtet, soweit das Mitglied seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommt.

Im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsformen werden die erwirtschafteten Überschüsse einer Genossenschaft nicht als wirtschaftlicher Gewinn betrachtet, sondern sie fließen in die Wohnungsbewirtschaftung zurück. So investierte beispielsweise die Baugenossenschaft ›Wiederaufbau‹ allein im Jahr 2014 in Südostniedersachsen und Sachsen-Anhalt rund 15 Mio. Euro in die energetische Sanierung sowie die Steigerung der Wohnqualität ihres Bestandes. Dieses Sanierungsprogramm wird – wie in den Vorjahren – auch in den kommenden Jahren fortgesetzt. So wird sowohl eine zeitgemäße Wohnqualität sichergestellt als auch das genossenschaftliche Vermögen gesichert.

Außerdem dienen erwirtschaftete Überschüsse der Dividendenausschüttung an die Mitglieder. Die ertragsabhängige Dividende wird jedes Jahr von der Vertreterversammlung beschlossen. Dieses Selbstverwaltungsorgan setzt sich aus gewählten Vertretern der Mitglieder zusammen. Es ist neben anderen Aufgaben für die Entlastung von Aufsichtsrat und Vorstand zuständig.

Zu den Dingen, die der Zustimmung der Vertreterversammlung bedürfen, gehören auch Mieterhöhungen. Dabei wägt sie im Interesse der Genossen eine moderate Steigerung gegenüber den wirtschaftlichen Erfordernissen ab. Dieses Gremium ist – so könnte man salopp sagen – die implantierte „Mietpreisbremse“ einer Wohnungsgenossenschaft.

Ein anderer Aspekt, der das Wohnen bei einer Genossenschaft zu etwas Besonderem macht, sind die Leistungen über das Mietverhältnis hinaus. So steht für Mitglieder ein breites Spektrum von Dienstleistungen bereit, von der genossenschaftlichen Spareinrichtung über Stadtteilvereine sowie Mieterfahrten und -feste bis hin zu sozialen Hilfestellungen wie beispielsweise der Schuldnerberatung. Die gesamtgesellschaftliche Verantwortung und die Standortpflege finden auch Ausdruck in zahlreichen sozialen, kulturellen und sportlichen Sponsoring-Aktivitäten.

Der Genossenschaftsgedanke mit seinem Grundprinzip der Selbstverwaltung ist inzwischen über 160 Jahre alt. In der Europäischen Union sind mehr als 300 000 Genossenschaften mit ca. 140 Millionen Mitgliedern aktiv. In Deutschland haben die gut 7 000 genossenschaftlichen Unternehmen mehr als 20 Millionen Mitglieder. Dass Genossenschaften noch immer Vorbildcharakter haben, zeigt auch die Tatsache, dass die Vereinten Nationen den Antrag angenommen haben, den Genossenschaftsgedanken zum immateriellen Weltkulturerbe zu erheben.

Foto: Panthermedia/Lev Dolgachov

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