Artikel erschienen am 19.06.2023
E-Paper

Realität zählt nach dem Immobilien-Boom

Die aktuelle Marktsituation ist für Profis Herausforderung und Chance zugleich

Von Dirk Rosskopf, Braunschweig

Aber die gute Nachricht vorweg: die alte Regel des Immobiliengeschäfts, dass immer gekauft und verkauft wird, hat nach wie vor Bestand. Nur eben anders.

Wie war das noch vor drei oder vier Jahren? Immobilien gleich welcher Art, egal ob Studenten-Apartment, das klassische Einfamilienhaus, die schicker Penthouse-Eigentumswohnung, die Gewerbe-Immobilie oder das große Investment – alles, was mit einem Grundbuch ausgestattet war, galt als Topseller. Private Käufer wie institutionelle Investoren sahen in den Liegenschaften auch unserer Region das Anlageobjekt der Zukunft. Und die der Immobilie ureigenen Kaufgründe wie Sicherheit, Altersvorsorge, Selbstverwirklichung und manchmal auch Prestigedenken traten hinter den allgegenwärtigen Trend zurück, Immobilien fast um jeden Preis kaufen zu müssen. Folgerichtig gaben sich Nachfrage und Preise beim Erklimmen neuer Höhen die Hand und selbst der Corona-Lockdown schien dem Immobilienmarkt nichts anhaben zu können.

Eine neue Zeitrechnung am Immobilienmarkt

Erst mit dem Angriffskrieg in der Ukraine und den damit verbundenen Wirren am Energie- und Rohstoffmarkt wurde es anders. Mit den zudem in diesem Umfeld der Unsicherheit rasant steigenden Finanzierungszinsen fanden die Begriffe Nachfragedelle und Preisrückgang erstmals seit Jahren wieder Einzug in den Sprachgebrauch der Marktteilnehmer. Damit nicht genug: Die aktuelle Diskussion um Klimaschutz und die Verschärfung des Gebäudeenergiegesetzes mit auch monetär aufwendigen Anforderungen an die Modernisierung im Bestand verschlechtern die ohnehin negative Stimmung am Markt. Und das macht selbst vor dem privaten Häuslebauer nicht halt: Die angesichts stark rückläufiger Neubauzahlen politisch scheinbar nicht in den Griff zu bekommende Wohnungsnot lässt sogar die öffentliche Diskussion über das Verbot von neuen Einfamilienhäusern zu. Alles in allem ist es daher keine Überraschung, dass Vermietung und Verkauf im laufenden Jahr unter ganz anderen Vorzeichen stehen als noch in den zurückliegenden Rekordjahren. Aber was bedeutet das für die Marktteilnehmer wie Verkäufer, Käufer und Immobilienmakler?

Chance und Herausforderung

Eines ist wohl allen Beteiligten klar: Eine Immobilie einfach mal so verkaufen und dabei ganz nebenbei höchste Preise erzielen, ist aktuell nicht mehr möglich. Immobilienverkäufer und -käufer müssen neu zusammenfinden. Einerseits haben sich für die Käufer die Finanzierungsbedingungen verändert, neben den Zinsen sind die Eigenkapitalanforderungen der Banken gestiegen. Andererseits müssen sich die Kaufpreisvorstellungen zwischen Käufer und Verkäufer erst wieder annähern. Ob der Markt nun – wie von einigen Experten vermutet – schon im zweiten Halbjahr des laufenden Jahres besser wird oder, wie in anderen Prognosen angenommen, erst 2024 eine echte Stabilisierung eintritt, spielt erst einmal keine entscheidende Rolle. Viel wichtiger ist ein anderer Punkt: Die derzeitige Abkühlungsphase ist Chance und Herausforderung für Immobilienprofis. Wir befinden uns inmitten eines umfassenden Transformationsprozesses vom Verkäufer- zum Käufermarkt. Der Beratungsbedarf ist somit sowohl auf Käufer- als auch auf Verkäuferseite weitaus höher als noch vor wenigen Monaten und Jahren. Das fordert die gesamte, ja vielleicht sogar eine neue Kompetenz der qualifizierten Immobilienberater und Immobilienmakler.

Realität zählt

Die Kaufpreise für Wohnimmobilien haben sich in den vergangenen Jahren konstant nach oben entwickelt – für den soliden Immobilienerwerb schädliche Preisübertreibungen waren an der Tagesordnung. Auch das ist unter den neuen Marktvorzeichen vorbei. Realistische Preiseinschätzungen, eine detaillierte Analyse der Gebäudeeigenschaften und natürlich das Berücksichtigen des energetischen Zustands sind die Herausforderungen für den Verkauf in der aktuellen Zeit. Schon jetzt ist erkennbar, dass Angebote mit einem umfangreichen Modernisierungsbedarf nur mit erheblichen Preisabschlägen am Markt zu platzieren sind. Dem Verkauf wird Transparenz abverlangt, denn nur ungern wird angesichts der allgemeinen Kostensituation die Katze im Sack gekauft. Das gilt für den Zustand der Immobilie genauso wie für Nutzungsmöglichkeit und rechtliche Randfragen. Auch dies ist für den Profi Chance und Herausforderung zugleich: Verteilen war gestern, heute steht das echte Verkaufen wieder im Vordergrund.

Da ist er wieder, der Käufermarkt

Die Anzahl der Immobilienkäufer ist kleiner geworden. Die Erkenntnis, wieviel vom monatlichen Einkommen für das Wohnen im Eigentum aufzubringen ist, lässt insbesondere private Investoren aktuell vom Erwerb einer Liegenschaft zurückschrecken. Dass damit das hierzulande bekanntermaßen auch für die Altersvorsorge zuträgliche Immobilieneigentum erstmal in weite Ferne gerückt ist, müssen nicht nur die Interessenten akzeptieren, sondern auch die Verkäufer. Makler sind die ersten Ansprechpartner, wenn es darum geht, die tatsächliche Verkäuflichkeit einer Immobilie zu ermitteln. Sie wissen aufgrund ihrer beruflichen Nähe am besten, welche Produkte in welcher Lage und welcher Qualität welchen Preis erzielen können. Sie müssen jetzt aber auch in der Lage sein, die Vermarktung zu erklären und letztendlich das Angebot am Markt zu platzieren. In einem schwächelnden Umfeld ist das keine leichte Aufgabe. Entscheidend ist dafür wieder der enge Dialog mit Kaufinteressenten – eine Tätigkeit, die über Jahre kaum mehr im Fokus vieler Makler und Berater stand. Das ändert sich nun, wodurch sich auch ein Markt eröffnet, der in der jüngsten Vergangenheit viel zu wenig beachtet wurde. Auch in den städtischen Lagen benötigen Kaufinteressenten künftig vermehrt beratende und vermittelnde Unterstützung beim Immobilienerwerb. Die Kernaufgabe dabei bleibt die gleiche: Kaufinteressenten müssen zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit der richtigen Immobilie in Kontakt kommen. Und wieder Chance und Herausforderung für den Immobilienprofi: Tiefgründige Analyse von Bedarf, Wünschen und Möglichkeiten und dazu das genauso tiefgründig analysierte Verkaufsobjekt sind die Basis für den Abschluss in der Zeit nach dem Immobilienboom.

Ähnliche Artikel

Immobilien

Wirtschaftlichkeit von Unternehmensimmobilien

Potenziale von betriebseigenen Immobilien erkennen und nutzen

Viele Unternehmen sind Eigentümer von Immobilien und binden damit in der Regel erhebliches Eigenkapital. Umso erstaunlicher ist es daher, dass der Umgang mit den unternehmenseigenen Immobilien sehr oft den Ansprüchen an ein professionelles Immobilienmanagement nicht gerecht wird.

Braunschweig 2013 | Dipl.-Ing. Stephan Lechelt, Braunschweig

Immobilien

Büromarkt Braunschweig 2018

Die Trends – steigende Mieten, rückläufiger Leerstand und pralle Pipeline

Entwicklungen am Immobilienmarkt können nur dargestellt werden, wenn die notwendigen Datenerhebungen und Auswertungen kontinuierlich durchgeführt werden. Für den Büromarkt in Braunschweig wurde im dritten Jahr in Folge der Büromarktbericht fortgeschrieben, um die weiterhin dynamischen Entwicklungen auf dem Büroimmobilienmarkt in der Löwenstadt abzubilden.

Braunschweig/Wolfsburg 2018 | Dipl.-Ing. Stephan Lechelt, Braunschweig