Liquiditätsgewinnung in Krisenzeiten
Chancen und Risiken für mittelständische Unternehmen
Von Thomas Vinnen, HamburgDie Rolle der Banken
Das größte und bedeutendste Finanzierungsinstrument für kleine und mittelständische Unternehmen ist nach wie vor der Bankkredit. Er stellt eine bewährte Kapitalbeschaffung dar, die auf günstigen Zinsen und guten Bonitäten basiert. Nicht erst seit dem Lockdown im Frühjahr 2020 vergeben die Banken sogenannte „Förderkredite“, für die der Staat häufig eine weitreichende, wenn nicht die komplette Haftung übernimmt. Ein ehemaliges Nischenprodukt der Banken hat seine Blütezeit erreicht. In Situationen wie der aktuellen Coronakrise stellt sich dennoch zurecht die Frage, wie schnell ein Genehmigungsprozess ist und wie die erhaltenen Fördermittel letztendlich zurückgezahlt werden können. Experten haben errechnet, dass weniger als die Hälfte der für die Hilfsprogramme berechtigten Unternehmen tatsächlich ein Darlehen abgerufen haben – begründet wird dies mit dem teilweise zeitraubenden und bürokratischen Prozedere. Momentan bewältigen die Banken ein hohes Nachfragevolumen, um den entstandenen Liquiditätsbedarf zu decken. Bankkredite allein sind allerdings nicht immer ausreichend.
Abhängigkeiten von der Hausbank verringern
Zahlreiche mittelständische Unternehmen haben bereits vor der Coronakrise eine größere Unabhängigkeit von den Banken und somit eine Diversifizierung der Unternehmensfinanzierung angestrebt. Dieser Trend ist jetzt noch stärker spürbar. Häufig sind es die Banken selbst, die den Einbezug alternativer Finanzierungsmodelle vorschlagen. Den alternativen Finanzierern ist gemein, dass sie Lösungsmodelle anbieten, die unterschiedliche Interessen bedienen und dabei flexibel und schnell agieren. Viele Anbieter von alternativen Finanzierungsmodellen stellen nicht die Bonität des Unternehmens in den Mittelpunkt, weshalb sie für den Mittelstand gerade in Krisenzeiten deutlich attraktiver geworden sind.
Factoring
Beim Factoring verkauft der Unternehmer fortlaufend seine Forderungen und sichert so dauerhaft Liquidität. In der Praxis funktioniert Factoring so, dass der Unternehmer die Kundenrechnungen an die Factoringgesellschaft verkauft, die dann auch das Debitorenmanagement und Mahnwesen übernimmt. Neben der Finanzierungsfunktion beinhaltet Factoring somit auch eine wesentliche kaufmännische Dienstleistung. Während beim sogenannten unechten Factoring das Risiko eines Forderungsausfalls beim Forderungsverkäufer verbleibt, übernimmt beim echten Factoring die Factoringgesellschaft das Ausfallrisiko für die angekauften Forderungen. Das Unternehmen lagert somit auch das komplette Forderungsmanagement aus, hat keine offenen Rechnungen und ist von Zahlungsausfällen nicht betroffen. Die Factoringgesellschaft überweist in der Regel sofort und zahlt auch dann, wenn der Kunde die Zahlungsziele überschreitet. Am häufigsten findet Factoring Anwendung im verarbeitenden Gewerbe, im Großhandel, bei Dienstleistungsunternehmen sowie in der Transport- und Logistikbranche.
Leasing
Bei dieser Finanzierungsform werden Wirtschaftsgüter gegen Entgelt zum Gebrauch überlassen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Firmenwagen, Nutzfahrzeuge, Computer, Softwarelösungen oder Maschinen. Es ist grundsätzlich kein Eigenkapitaleinsatz nötig, und diese objektbezogene Finanzierung erfordert vom Unternehmen keine weiteren Sicherheiten. Trotz der im Vergleich zu klassischen Bankkrediten höheren Kosten hat sich Leasing als eine attraktive Finanzierungsalternative durchgesetzt. Das Unternehmen kann Investitionen tätigen, ohne eigene Finanzmittel für die Objekte ausgeben zu müssen. Die meist monatlich zu zahlenden Leasingraten sind feste, kalkulierbare Betriebsausgaben. Der Leasinggeber ist der wirtschaftliche und rechtliche Eigentümer und führt das Leasingobjekt in den eigenen Büchern, so hat die Finanzierung über Leasing keinerlei Auswirkung auf die Bilanz.
Sale & Lease Back
Beim Sale & Lease Back (SLB), einer Sonderform des Leasings, verkauft ein Unternehmen mobile Vermögensgegenstände des Anlagevermögens an einen Leasinggeber und least diese sofort wieder zurück. Diese alternative Finanzierungsform hat in den letzten zehn Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen, denn sie dient zur Generierung frischer Liquidität, die für die unterschiedlichsten unternehmerischen Zwecke verwendet werden kann. Ein objektbasiertes Finanzierungsmodell setzt voraus, dass das Unternehmen über werthaltige Assets, z. B. Anlagen und Maschinen oder auch Immobilien, verfügt. Da die Finanzierung auf diese abstellt, spielt die Bonität des Unternehmens – anders als bei Bankkrediten – eine untergeordnete Rolle. Somit ist der Genehmigungsprozess deutlich schneller: Experten bewerten die Werthaltigkeit der Maschinen und Anlagen, ein Kaufpreis wird berechnet und üblicherweise bereits nach sechs bis acht Wochen ausgezahlt. Der Betrieb läuft währenddessen uneingeschränkt weiter und die monatlichen Leasingraten lassen sich aus den erwirtschafteten Umsätzen finanzieren. Mit der klaren Fokussierung auf den Wert der Maschinen und Anlagen ist SLB eine ideale Möglichkeit, um auch in Krisenzeiten dem Unternehmen frische Liquidität zuzuführen.
Wareneinkaufsfinanzierung
Eine Einkaufsfinanzierung ist ein Handelsgeschäft, mit dem der finanzielle Spielraum für den Einkauf von Waren erhöht wird und dem in der Coronakrise eine hohe Bedeutung zugesprochen wird. Die Einkaufsfinanzierung hat das Wesensmerkmal, dass drei Parteien beteiligt sind: Der Einkaufsfinanzierer kauft die Ware im Auftrag seines Kunden beim Lieferanten und verkauft sie sofort mit einem längeren Zahlungsziel an den Kunden. Da der Einkaufsfinanzierer lediglich als Zwischenhändler auftritt, bleibt die Verhandlungsebene zwischen Kunde und Lieferant unangetastet. Die durch die sofortige Bezahlung des Lieferanten erzielbaren Vorteile in Form von Skonto oder Rabatten kommen dabei dem Kunden zugute. Auch dieses Finanzierungsmodell ist bankenunabhängig und führt daher nicht zu einem Ausweis höherer Finanzverbindlichkeiten in der Bilanz. Wareneinkaufsfinanzierung ist im Handel, im verarbeitenden Gewerbe und in der Automobil- oder Lebensmittelbranche eine mittlerweile bewährte Methode, um den Handlungsspielraum für steigende Einkaufsvolumina zu erweitern.
Möglichkeiten für junge Unternehmen und Start-ups
Junge Unternehmen können aufgrund ihrer kurzen Historie keine Erfahrungswerte zu ihrer wirtschaftlichen Entwicklung und Bonität aufweisen. Sie haben kaum oder auch noch gar keine Gewinne erwirtschaftet und können keine Sicherheiten anbieten – für Banken bedeuten sie ein hohes Risiko. Die bisherigen staatlichen Hilfspakete haben für etwa 30 Prozent der Unternehmen kein passendes Angebot dargestellt, auch waren sie für die Hälfte der Start-ups nicht geeignet, einen Liquiditätsengpass zu beheben. Dies zeigt eine Umfrage des BITKOM Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. Allerdings können auch junge Unternehmen und Start-ups mithilfe von Investoren ihre Existenz am Markt sichern.
Crowdfunding / Crowdinvesting
Crowdfunding bezeichnet eine sogenannte Schwarmfinanzierung. Privatpersonen, aber auch professionelle Investoren stellen Kapital zur Verfügung und erhalten im Gegenzug monetäre Gegenleistungen, wie Gewinnbeteiligungen, Produktbezug oder Dienstleistungen. Das zu finanzierende Projekt wird auf Online-Plattformen beworben, und so haben Investoren die Chance, sich an der Finanzierung zu beteiligen. Da es sich um relativ niedrigere Summen handelt, besteht kein großes Risiko für den einzelnen Investor. Bei Crowdinvesting zielt die Beteiligung des Investors direkt auf die Unternehmensfinanzierung ab.
Venture Capital
In der Regel investiert ein Kapitalgeber, meist über eine Beteiligungsgesellschaft, in junge Unternehmen. Anders als Banken und alternative Finanzierer bringt sich eine Venture Capital-Gesellschaft mit betriebswirtschaftlichem Wissen und eigenem Netzwerk in das Unternehmen aktiv ein. Aufgrund der grundsätzlich höheren Risikobereitschaft der VC-Investoren lassen sich hier Finanzierungsmittel auch für solche Unternehmen und Projekte generieren, die noch nicht den Standards klassischer Finanzierer genügen.
Die Erholung nach dem Wirtschaftseinbruch
Die Wirtschaftsforschungsinstitute sind sich einig, dass sich die deutsche Wirtschaft schrittweise erholen wird. Nicht zuletzt ist dies den umfangreichen konjunkturunterstützenden Maßnahmen der Bundesregierung zu verdanken.
Der Mittelstand reagiert flexibel auf das „New Normal“ und zeigt, dass Krisenzeiten in gewisser Weise einen Neuanfang bedeuten. Ein Umdenken und neue Wege werden die kommenden Monate charakterisieren. Dies wird in besonderer Weise auch für die Wahl der Finanzierungspartner und -instrumente gelten.