Das (neue) vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren
Von Dipl.-Wirt.-Jur. (FH) Nico Kämpfert, Halle (Saale | Dipl.-Betriebswirt Heiko Rautmann, HannoverEinblick in die aktuelle Gesetzgebung
Sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene hat sich in den letzten Jahren die Überzeugung durchgesetzt, dass ein Instrument zur (vorinsolvenzlichen) Unternehmenssanierung einen zusätzlichen Nutzen und einen höheren Sanierungserfolg herbeiführen kann, als dies bei einer bloßen Sanierung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens der Fall wäre.
Im Folgenden sollen die Entwicklungen in der deutschen wie europäischen Gesetzgebung dargestellt werden. Hierbei gehen wir insbesondere auf die Auswirkungen des ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen), welches am 01.03.2012 in Kraft trat, ein.
Entscheidungen des deutschen Gesetzgebers
Im Koalitionsvertrag von 2009 wurde beschlossen, eine „Verbesserung der Bedingungen für eine außergerichtliche Sanierung bei drohender Insolvenz“ herbeizuführen. Bei der Konzeption und inhaltlichen Ausgestaltung des ESUG und in Umsetzung des Koalitionsvertrags entschied sich der Gesetzgeber jedoch für das sog. „Schutzschirmverfahren“, welches bei optimalem Ablauf zu einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung führt. Im Parlamentsbeschluss zum ESUG ist eine Aufforderung an die Bundesregierung enthalten, im Jahr 2017 den Nutzen des Schutzschirmverfahrens und die Zielerreichung durch dasselbe einer Evaluation zu unterziehen.
Bereits zum jetzigen Zeitpunkt haben bedeutende Insolvenzverwalterorganisationen (so insbesondere der Gravenbrucher Kreis, die Neue Insolvenzverwaltervereinigung Deutschlands [NIVD] sowie der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands [VID]) Positionspapiere vorgelegt, die sich mit den bisherigen Erfahrungen zum ESUG auseinandersetzen und in denen Korrekturen im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage vorgeschlagen werden. Diese Positionspapiere werden im Folgenden näher beleuchtet.
Aktuelle Entwicklungen auf EU-Ebene
Auch auf Ebene der Europäischen Union wurden bereits Vorgaben für eine außerinsolvenzliche Restrukturierung getroffen. Am 12.03.2014 veröffentlichte die Kommission eine Empfehlung für einen präventiven Restrukturierungsrahmen. Hierdurch sollte bis zum 12.03.2015 eine Vereinheitlichung nationaler präventiver Restrukturierungsinstrumente herbeigeführt werden.
Eine Umsetzung dieser Empfehlung in nationale Gesetzgebung erfolgte jedoch nicht bzw. nicht hinreichend, sodass die Kommission nach Evaluierung ihrer Empfehlung deutliche Kritik im Rahmen des Aktionsplans zur Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 30.09.2015 äußerte. Die nationalen Insolvenzrechte seien weiter vollkommen uneinheitlich, zudem fehlten in den meisten Rechtsordnungen weiterhin vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren. Aus Sicht der Kommission führten diese Punkte zu wesentlichen Hemmnissen grenzübergreifender Investitionen. Deshalb erfolgte die Ankündigung eines Richtlinienentwurfs zur Herbeiführung einer Mindestharmonisierung. Am 22.11.2016 stellte die Kommission eben diesen Richtlinienentwurf und insofern auch ein Maßnahmenpaket zu Unternehmensinsolvenzen vor.
Der Richtlinienvorschlag konzentriert sich im Wesentlichen auf drei Elemente:
Zunächst sollen gemeinsame Grundsätze für eine frühe Umstrukturierung ergehen, die Unternehmen helfen sollen, ihre Tätigkeit fortzusetzen und Arbeitsplätze zu erhalten. Die Bestimmungen sollen des Weiteren Unternehmern eine zweite Chance einräumen, da sie nach einem Zeitraum von höchstens drei Jahren eine vollständige Schuldenbefreiung erhalten sollten. Zudem sollen gezielte Maßnahmen ergehen, um die Effizienz der Insolvenz-, Umstrukturierungs- und Schuldenbefreiungsverfahren zu erhöhen.
Zur Erreichung dieser Oberziele soll für Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten, insbesondere für KMU, ein Zugang zu Frühwarnsystemen geschaffen werden, um eine sich verschlechternde Geschäftslage möglichst frühzeitig zu erkennen und eine Umstrukturierung in einer frühen Phase gewährleisten zu können. Weiter sind flexible, präventive Restrukturierungsinstrumente vorgesehen, um langwierige, komplexe und kostenintensive Gerichtsverfahren zu vereinfachen. Nationale Gerichte sollen erforderlichenfalls zum Schutz der Interessen der Beteiligten in den Sanierungsprozess eingebunden werden. Zudem soll der betroffene Schuldner, der die vorinsolvenzlichen Umstrukturierungsinstrumentarien nutzt, eine befristete „Atempause“ von höchstens vier Monaten von den Durchsetzungsmaßnahmen erhalten, um Verhandlungen mit Gläubigern und eine erfolgreiche Umstrukturierung zu erleichtern. Auch sollen neue Finanzmittel („fresh money“) einem besonderen Schutz unterliegen, um auf diese Weise die Chancen auf eine erfolgreiche Restrukturierung zu erhöhen. Auch sollen Umstrukturierungspläne nicht von einer Minorität von Gläubigern oder Anteilseignern blockiert werden können; eine Dreiviertelmehrheit der Stimmrechte soll jedenfalls ausreichen. Dadurch, dass sich sämtliche Maßnahmen auf eine präventive Restrukturierung beziehen, sollen Arbeitnehmer arbeitsrechtlich vollen Schutz genießen. Zuletzt zielt die Richtlinie auf eine Verbesserung der Effizienz und einer Verkürzung der Dauer von Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren ab, die insbesondere durch den Einsatz von Technologien wie der Möglichkeit einer elektronischen Antragstellung sowie durch eine bessere Schulung und Spezialisierung der mit dem Verfahren Betrauten erreicht werden soll.
Auswertung der Entwicklungen nach Einführung des ESUG unter Einbeziehung der Verbandsgutachten
Zunächst ist festzuhalten, dass die Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung (§§ 270a, 270 InsO) und hier auch das sog. Schutzschirmverfahren (§§ 270b, 270 InsO) in großen Teilen bereits unter die EU-Vorgaben subsumiert werden können. Allerdings besteht eine wichtige Ausnahme: Das Eigenverwaltungs- und insbesondere das Schutzschirmverfahren zielen auf die gerichtliche Bestätigung eines Insolvenzplans ab und bedürfen hierzu schlussendlich der Eröffnung eines formellen Insolvenzverfahrens. Auch aus Sicht der Insolvenzverwalterverbände ist ein Eigenverwaltungsinsolvenzverfahren bereits in seiner jetzigen Form eine gute und regelmäßig auch erfolgreiche Sanierungsform. Allerdings gibt es seitens der Verbände im Detail durchaus Kritik und Vorschläge zur Verbesserung des derzeitigen Verfahrens sowie Vorschläge zur Einführung eines eigenständigen vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens.
Thesenpapier des Gravenbucher Kreises vom 12.10.2015
Nach Auffassung des Gravenbrucher Kreises lassen sich aus den bisherigen Eigenverwaltungsverfahren klare Tendenzen ableiten, an welchen Stellen der Gesetzgeber nachbessern müsste.
Zunächst bestehe eine Misserfolgsquote bei den Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung deshalb, da zu häufig Verfahren in Eigenverwaltung begonnen würden, bei denen sich im Verfahrensverlauf zeigt, dass die Voraussetzungen bereits von Beginn an hierfür nicht vorlagen. Insbesondere bildet die vom Schuldner initiierte Gläubigerbeteiligung häufig einen nicht repräsentativen Teilbereich der am Verfahren tatsächlich beteiligten Gläubiger ab. Die wesentlichen Gläubiger bzw. Gläubigergruppen werden daher nur unzureichend in das Sanierungsverfahren eingebunden, was schlussendlich zu Vorbehalten und Misstrauen und partiell somit auch zum Scheitern der angestrebten Sanierung führt. Auch sei die Quote der Folgeinsolvenzverfahren nach durchgeführten ESUG-Sanierungen insbesondere dann hoch, wenn keine echte industrielle Restrukturierung erfolgt.
Aus diesen Gründen sei es notwendig, den Zugang zum Instrument der Eigenverwaltung strenger zu reglementieren und bestimmte objektiv belegbare Mindestvoraussetzungen in Hinblick auf Zuverlässigkeit und Mitwirkungsbereitschaft zu schaffen. Beispielhaft nennt der Gravenbrucher Kreis als Kriterien, die gegen eine Eigenverwaltung sprechen, die fortlaufende und nachhaltige Verletzung der Buchführungs- und Bilanzierungs- sowie Steuererklärungsplichten des Schuldners, das Bestehen erheblicher Lohn- und Gehaltsrückstände inklusive rückständiger Sozialversicherungsbeiträge, mangelnde Kenntnis des Schuldners bzw. seiner organschaftlichen Vertreter vom Instrument der Eigenverwaltung sowie eine offensichtliche Verletzung von Insolvenzantragspflichten.
Nach Auffassung des Gravenbrucher Kreises ist die Position des Sachwalters in der Eigenverwaltung zu schwach ausgestaltet. Die Eigenverwaltung solle auf Antrag des Sachwalters aufgehoben werden, wenn der (vorläufige) Gläubigerausschuss dem zustimmt. Auch soll die Möglichkeit der gerichtlichen Anordnung von Zustimmungsvorbehalten im Rahmen der Eigenverwaltung jedenfalls dann bestehen, wenn im Vorfeld ein entsprechender Beschluss des (vorläufigen) Gläubigerausschusses ergangen ist. Diesbezüglich wird wiederum ein Initiativrecht des Sachwalters gefordert. Weiter soll dem Sachwalter die Kassenführung übertragen werden können, sofern der (vorläufige) Gläubigerausschuss dies verlangt. Zudem soll der Sachwalter durch den (vorläufigen) Gläubigerausschuss mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragt werden können.
Zudem sollte ein Gleichlauf zwischen vorläufigem Eigenverwaltungs- und Regelverfahren für Steuerverbindlichkeiten herbeigeführt werden, da im Rahmen des Eigenverwaltungsverfahrens in diesem Zusammenhang Rechtsunsicherheiten bestehen. Darüber hinaus fordert der Gravenbrucher Kreis klare gesetzliche Regelungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten in der Eigenverwaltung, da auch hier noch deutliche Rechtsunsicherheiten und insbesondere auch Uneinigkeit in der Rechtsprechung besteht.
Thesenpapier der NIVD vom 06.06.2016
Die NIVD schließt sich in großen Teilen den Forderungen des Gravenbrucher Kreises an. Insbesondere werden auch qualitative Zugangsvoraussetzungen für die Eröffnung eines ESUG-Verfahrens gefordert. Einigkeit herrscht auch dahingehend, dass die Kompetenzen des Sachwalters in Teilen aufgewertet werden müssen.
Des Weiteren weist die NIVD auf die psychologische Hürde vor dem Gang zum Insolvenzgericht hin und fordert deshalb eine Umbenennung der Insolvenzordnung (InsO) in Sanierungs- und Insolvenzordnung (SanO) und auch eine weitere sprachliche Anpassung in Bezug auf die in der Insolvenzordnung verankerten Sanierungsinstrumente.
Zudem fordert die NIVD die Möglichkeit, ein Insolvenzplanverfahren bereits im Antragsverfahren durchzuführen. Ziel soll es sein, bereits vor einer anderenfalls notwendigen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eine gerichtlich bestätigte Einigung mit den beteiligten Gläubigern herbeizuführen und so idealerweise die Eröffnung sogar zu vermeiden.
Weitere Forderungen der NIVD gehen dahin, auch partielle Verfahren unter Einbeziehung lediglich bestimmter Gläubigergruppen zu ermöglichen, da auf diese Weise insbesondere finanzwirtschaftliche Restrukturierungen einfacher herbeizuführen wären. Zudem sollte auf Antrag des Schuldners zumindest für die beteiligten Gläubiger auch ein Moratorium (Kündigungs- und/oder Vollstreckungsverbot) gelten können.
Thesenpapier des VID vom 16.02.2016
Der VID setzt sich insbesondere mit den Anforderungen an ein zukünftiges vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren auseinander. Der Schuldner müsse „sanierungswürdig“ und „sanierungsbedürftig“ sein, wobei unter „Sanierungswürdigkeit“ ähnliche Anforderungen zu verstehen sind, wie sie bereits der Gravenbrucher Kreis in seinem Thesenparier aufgezeigt hat und „Sanierungsbedürftigkeit“ meint, dass sich das Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinde, die kurz- bis mittelfristig geeignet sind, den Bestand des Unternehmens zu gefährden. Allerdings müsse der Schuldner noch mindestens sechs Monate zahlungsfähig sein.
Weiter müsse ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren anhand eines Sanierungsplanes erfolgen, der der Zustimmung der beteiligten Gläubiger unterliegt und der gerichtlichen Bestätigung bedarf. Es müssten Instrumente geschaffen werden, um auch Eingriffe in Rechte widersprechender Gläubiger zu ermöglichen. Eine Vergleichsrechnung müsste ergeben, dass durch den Sanierungsplan kein Gläubiger gegen seinen Willen schlechter gestellt wird, als dies bei einer Liquidation der Fall wäre. Diese Regelungen finden sich bereits in der Insolvenzordnung zur Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens und würden somit lediglich in den vorinsolvenzlichen Zeitraum integriert.
Auch müsste dem Schuldner in einem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren ein Sachwalter zur Seite gestellt werden, der als eine Art Moderator oder Mediator zwischen Schuldner und Gläubigern bei der Erstellung des Plans fungiert.
Ein ausgearbeiteter Sanierungsplan müsste nach Forderung des VID einer Prüfung durch das Gericht dahingehend unterliegen, ob der Plan sich von vornherein als so aussichtslos darstellt, dass der wirtschaftliche Fortbestand des Schuldners nicht mehr gewährleistet ist und weiter, dass durch die Sanierung kein Gläubiger im Vergleich zu einer Liquidation schlechter gestellt wird. Wird der Sanierungsplan mit qualifizierter Mehrheit (75 % der Summen der Gruppe) angenommen, soll der durch Beschluss des Gerichts bestätigt werden. Auch dies sind Regelungen, die wir bereits aus dem Insolvenzplanverfahren gemäß §§ 217 ff. InsO kennen.
Fazit und Ausblick
Das Schutzschirmverfahren gemäß §§ 270b, 270 InsO ist zwar ein Instrument zur schuldnerbestimmten Sanierung, greift allerdings nicht im vorinsolvenzlichen Bereich, bietet keine wirkliche Unterscheidung zum Eigenverwaltungsverfahren gemäß § 270a InsO und ist – wie auch das Eigenverwaltungsverfahren nach
§§ 270a, 270 InsO selbst – nicht frei von Schwachstellen.
Der Wille der EU-Kommission, europaweit ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren zu etablieren, ist zu begrüßen. Auch decken die Thesen der Berufsverbände der Insolvenzverwalter die Schwächen des ESUG zutreffend auf und beheben diese konsequent. Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission erscheint mit den von den Berufsverbänden der Insolvenzverwalter vorgelegten Positionspapieren kompatibel.
Für das deutsche Sanierungsrecht dürften insofern Änderungen anstehen, die bald auch eine Restrukturierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens ermöglicht, auf die bestehenden Stärken des Insolvenzplanverfahrens aufbaut und die noch existierenden Schwächen der Sanierung im Rahmen einer Eigenverwaltung beseitigt.
Bild: Panthermedia/Bashkatov