Artikel erschienen am 24.02.2018
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Die Arthrose des Schultergelenkes

Von Prof. Dr. med. Dietmar Urbach, Gifhorn

Unter Arthrose versteht man einen ungewöhnlich starken Gelenkverschleiß. Davon kann auch das Schultergelenk betroffen sein. Ein Interview mit Prof. Dr. med. Dietmar Urbach, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Helios-Klinikum Gifhorn.

Sehr geehrter Herr Professor Urbach, über den Verschleiß der Hüft-, und Kniegelenke- wird in vielen Zeitschriften regelmäßig berichtet. Dahingegen findet man Artikel über die Schultergelenksarthrose doch eher selten. Liegt es daran, dass die Schulterarthrose seltener ist und somit kein medizinisches Problem darstellt?
Prof. Urbach: Es ist zwar richtig, dass die Arthrose des Schultergelenkes seltener vorkommt als die Arthrose des Knie- oder Hüftgelenkes. Dennoch bedeutet die Arthrose des Schultergelenkes für Betroffene ein großes medizinisches Problem. Mit der Begründung, dass der Mensch nicht auf den Händen läuft, wird häufig die Dringlichkeit einer ausreichenden Therapie am Schultergelenk unterschätzt. Denn die Arthrose des Schultergelenkes bereitet häufiger unerträgliche Schmerzen als Arthrosen anderer Gelenke. Ein weiterer Grund ist, dass es deutlich weniger Ärzte gibt, die sich auf das Schultergelenk spezialisiert haben.

Die Belastung des Schultergelenkes ist sicher nicht so groß wie die eines Knie- oder Hüftgelenkes, welches das ganze Körpergewicht tragen muss. Wie kommt es zu einer Arthrose im Schultergelenk?
Prof. Urbach: Das Schultergelenk ist nicht nur eines der kompliziertesten Gelenke unseres Bewegungsapparates, sondern unterliegt auch extrem hohen Druck- und Scherbelastungen, die vergleichbar mit denen der Gelenke der unteren Extremitäten sind. Alleine beim Anheben des Armes kommt etwa das Dreifache des Körpergewichtes an Kraft auf die Schultergelenkspfanne, bei einem Erwachsenen demnach durchschnittlich mehr als 200 Kilogramm. Bei dem Verschleiß des Schultergelenkes spielen aber nicht nur der Knorpel des Gelenkes, sondern auch der Verschleiß der Sehnen der sog. Rotatorenmanschette eine außerordentliche Rolle.

Welche Beschwerden haben die Patienten, die an einer Arthrose des Schultergelenkes leiden?
Prof. Urbach: Die Patienten beklagen anfänglich häufig phasenweise Schmerzzustände, die bei oder nach Belastung auftreten. Später kommt in aller Regel ein Nachtschmerz hinzu. Die Einschränkung der Beweglichkeit wird meist erst später bemerkt, da die Bewegung des Armes nicht nur im Schultergelenk, sondern mit dem gesamten Schultergürtel erfolgt. Über eine verbesserte Beweglichkeit des Schulterblattes kann trotz einer Bewegungseinschränkung im Schultergelenk der Arm häufig noch sehr lange gut bewegt werden. Die typischen Beschwerden hängen dann davon ab, ob es sich um einen reinen Knorpelverschleiß handelt oder ob der Verschleiß der Sehnen im Vordergrund steht. Ist die Arthrose kombiniert mit einem Verschleiß der Sehnenmanschette, kann es zu typischen Kraftverlusten beim Anheben des Armes, bei Überkopfarbeiten oder auch nur beim Einschenken einer Tasse Kaffee kommen. Der Arzt findet dann häufig zusätzlich zu dem Bewegungsschmerz im Schultergelenk auch die typischen Zeichen eines sogenannten Engesyndromes.

Wenn die Diagnose einer Arthrose gestellt wird, welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es? Ist eine Operation immer unausweichlich?
Prof. Urbach: Der Verschleiß von Knorpel und Sehnen gehört zum Leben dazu und ist nicht von vornherein als Krankheit anzusehen. Ist der Verschleiß übermäßig, führt dieser zu einem nicht akzeptablen Funktionsverlust oder auch zu starken Schmerzen – so hat der Gelenkverschleiß Krankheitsbedeutung. Natürlich muss in erster Linie nicht gleich an eine Operation gedacht werden. Es gibt therapeutische Maßnahmen, wie zum Beispiel eine gezielte Krankengymnastik, Manualtherapie, Elektrotherapie und in bestimmten Fällen gezielte Injektionen in den Gleitraum unter das Schulterdach oder in das Schultergelenk selber. Letzteres betrifft mehr die akuten Zustände. Die Spritze enthält in aller Regel ein Gemisch aus einem Betäubungsmittel und einem örtlich wirksamen Cortison.

Die Nutzung eines Schulter-Bewegungsstuhls im Rahmen der Physiotherapie

Am Kniegelenk werden häufig sog. Knorpelaufbauspritzen angewendet. Gibt es diese auch bei der Schulterarthrose?
Prof. Urbach: Sie spielen sicherlich auf die Hyalu­ronsäureinjektionen an. Auch für die Schulter gibt es zugelassene Medikamente. Ich persönlich spreche nicht von Knorpelaufbauspritzen, da dieser Knorpelaufbau wissenschaftlich nicht sicher belegt ist. Einige Patienten scheinen jedoch durch weniger Schmerzhaftigkeit hiervon zu profitieren.

Wann würden Sie die Indikation zu einer Schultergelenksspiegelung stellen?
Prof. Urbach: Die Arthrose des Schultergelenkes selber ist keine Indikation für die sogenannte Arthroskopie des Schultergelenkes. Aber bei Veränderungen der Sehnen, insbesondere auch der Bizepssehne sowie einem Engesyndrom unter dem Schulterdach, kann die Schulterspiegelung mit gleichzeitiger Behandlung der Sehnen und der knöchernen Strukturen des Schulterdaches sinnvoll sein. Inwieweit das Anbohren des Knochens des Oberarmkopfes und der Gelenkpfanne in dem Bereich der Knorpelschädigung (die sog. „Bio-Prothese“) sinnvoll ist, bleibt abzuwarten.

Es gibt auch künstliche Schultergelenke. Können Sie etwas zu der bisherigen Erfahrung sagen, ob Empfehlungen bei der Schulter ausgesprochen werden können?
Prof. Urbach: Der künstliche Ersatz des Schultergelenkes ist weitaus seltener im Vergleich zu einem künstlichen Kniegelenk. Dennoch hat die Schulter­endoprothetik in den letzten 15 Jahren eine sehr positive Entwicklung genommen. Heute verwendet man in Abhängigkeit von Alter, Begleiterkrankungen, Art der Arthrose des Schultergelenkes drei verschiedene Typen von Schulterprothesen. Über eine genaue Auswahl und gute Operationstechnik lassen sich bereits heute sehr gute Ergebnisse erreichen. Die Indikation zu einem künstlichen Schultergelenk besteht immer dann, wenn eine ausgeprägte Schmerzhaftigkeit besteht, die mit anderen Maßnahmen nicht beherrscht werden kann. Die Einschränkung der Beweglichkeit im Schultergelenk selber sollte nicht der ausschlaggebende Grund für diese Operation sein, da das Bewegungsausmaß auch nach der Operation eingeschränkt sein kann.

Prof. Urbach, erklären sie uns zum Schluss bitte kurz die Röntgenbilder.
Prof. Urbach: Ja, sehr gerne. Auf dem linken Röntgenbild sieht man ein Schultergelenk mit einer deutlichen Arthrose. Der Pfeil zeigt auf den aufgehobenen Gelenkspalt. Hier reibt der Knochen des Oberarmkopfes direkt auf dem Knochen der Gelenkpfanne. Auf dem rechten Bild sehen Sie das bei der Patienten eingesetzte künstliche Schultergelenk. Die zwei kleinen Striche zeigen die Position der Gelenkpfanne aus hochvernetztem Polyäthylen. Der Prothesenschaft ist aus Titan und ist zementfrei implantiert.

Sehr geehrter Herr Prof. Urbach, haben Sie vielen Dank für das Interview.

Fotos: Klinik-und Rehazentrum Lippoldsberg, Fotolia/Two Brains Studios, Urbach
Röntgenbilder: Helios-Klinikum Gifhorn

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