Artikel erschienen am 10.12.2018
E-Paper

Kein automatischer Verfall des Urlaubsanspruches

… bei nicht gestelltem Urlaubsantrag

Von Volker Ernst, Braunschweig

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit zwei Urteilen vom 06.11.2018 entschieden, dass ein Arbeitnehmer seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb verliert, weil er keinen Erholungsurlaub beantragt hat.

Laut EuGH verfallen die Ansprüche auf Jahresurlaub nur dann, wenn der Arbeitgeber beweisen kann, dass der Arbeitnehmer freiwillig auf seinen Urlaub verzichtet hat, nachdem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt hat, rechtzeitig Urlaub zu nehmen.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem sog. Vorabentscheidungsverfahren vom Europäischen Gerichtshof wissen wollen, ob die nationale Regelung des § 7 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG), wonach der Urlaubs- und Urlaubsabgeltungs­anspruch verfällt, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht vor Beendigung des Arbeitsverhält­nisses beantragt hat, gegen Unionsrecht verstößt. Das BAG bat in diesem Zusammenhang um Auslegung des Europäischen Rechts, wonach der Anspruch eines jeden Arbeitnehmers auf einen bezahlten Mindesturlaub von vier Wochen, außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf.

Nach Auffassung der obersten europäischen Richter lässt europäisches Recht nicht zu, dass ein Arbeitnehmer die ihm zustehenden Mindesturlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf finanzielle Vergütung für den nichtgenommenen Urlaub automatisch schon allein deshalb verliert, weil er vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Urlaub beantragt hat. Diese Ansprüche können nur dann untergehen, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber etwa durch die angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die fraglichen Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen.

Nach Auffassung der Richter ist der Arbeitgeber hierfür beweispflichtig. Begründet wird dieses Ergebnis damit, dass der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses anzusehen ist. Ein Arbeitnehmer könne daher abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber dem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen. Insoweit besteht die Gefahr, dass die Einforderung von den Rechten des Arbeitnehmers diese Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen könne, die sich zu dem Nachteil des Arbeitnehmers auf das Arbeitsverhältnis auswirken könnten.

Mit dieser Entscheidung wurde die langjährige Rechtsprechungspraxis des BAG novelliert.

Der Verfall des Urlaubs- bzw. Abgeltungs-anspruches ist jedoch nach dem Europäischen Gerichtshof dann zu akzeptieren, wenn der Arbeitgeber beweisen kann, dass der Arbeit-nehmer aus freiem Willen und in vollem Bewusstsein der Sachlage tatsächlich darauf verzichtet hat, seinen Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er tatsächlich in die Lage versetzt wurde, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Die Richter haben festgestellt, dass diese Grundsätze auf alle Arbeitsverhältnisse Anwendung finden, gleich ob im Öffentlichen Dienst oder in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis.
Dies hat weitreichende Konsequenzen für die arbeitsrechtliche Praxis. Für den Arbeitgeber ergeben sich daher folgende zwingende Handlungsnotwendigkeiten:

Zunächst ist bei der Erstellung eines Arbeitsver­trages darauf zu achten, dass zwischen dem Mindesturlaub von 20 Tagen und darüber hinausgehendem Urlaub zu differenzieren ist. Hierbei sollte beachtet werden, dass klargestellt wird, dass die ersten 20 Tage, die ein Arbeitnehmer im Jahr Urlaub nimmt, der Mindesturlaub im Sinne des Gesetzes ist. Der darüber hinausgehende Urlaub ist durch Vereinbarung abzuändern und unterliegt nicht dem Unabdingbarkeitsgrundsatz des § 13 BUrlG.

Darüber hinaus sollte der Arbeitgeber seine Mitarbeiter möglichst zu Beginn des Jahres auf die rechtzeitige Beantragung des Urlaubes hinweisen. Hierbei sollte auch der deutliche Hinweis auf den möglichen Verfall des Urlaubs erfolgen. Nach Auffassung des EuGH ist der Arbeitgeber in der Beweispflicht.

Mit der Entscheidung des EuGH sind insoweit die Arbeitnehmerrechte deutlich gestärkt. Der Arbeitnehmer kann sich in jedem Fall auf diese Rechtsprechung berufen. Das europäische Recht ist insoweit verbindlich. Es bleibt abzuwarten, wie die deutsche Gerichtsbarkeit hiermit umgeht.

In jedem Fall führt diese Entscheidung zu einer zusätzlichen Überwachungsverpflichtung auf Seiten des Arbeitgebers.

Illustrationen: Sultan Cakal

Ähnliche Artikel

Finanzen Steuern Recht

Kündigungsschutz auf Millimeterpapier

Aktuelles zum Kündigungsschutz außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes

In Zeiten, in denen teure Abfindungsvergleiche häufig die Antwort auf die Risiken eines Kündigungsschutzprozesses sind, entwickelt sich eine Rechtsprechung, die zunehmend formale Fragen und Rechtsfragen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes zum Gegenstand hat. Es etabliert sich ein an formalen Details festmachender Kündigungsschutz.

Ostwestfalen/Lippe 2018 | Karl Geißler, Gütersloh

Finanzen Steuern Recht

Datenschutz im Arbeitsverhältnis

Soziale Netzwerke/Social Media im Unternehmen

Der Datenschutz für Beschäftigte hat in der jüngsten Vergangenheit Anlass für viele Diskussionen gegeben. Vor allem Fragen zum Umgang mit den sogenannten sozialen Medien und Netzwerken im und für das Unternehmen werden aktuell immer mehr praxisrelevant. Denn wenn sich ein Unternehmen im Internet oder in sozialen Netzwerken präsentiert, gilt es eine Fülle von gesetzlichen Regelungen zu beachten.

Hannover 2014 | Jan-Philipp Koslowski, Hannover | Manuel Sack, Braunschweig