Artikel erschienen am 01.04.2019
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Update: Tax Compliance Management

Neues zu steuerlichen innerbetrieblichen Kontrollsystemen

Von Dipl.-Finanzw. Frank Rothe, Bielefeld | Maik Pörschke, Bielefeld

Das Thema Compliance ist allgegenwärtig. Dabei ist die öffentliche Berichterstattung nicht bloß auf die großen Wirtschaftsskandale dieser Zeit gerichtet, auch mittelständische Unternehmen stehen im Fokus. Tax Compliance ist spätestens seit dem Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) zu § 153 AO vom 23.05.2016 Teil dieser Diskussion. Während große Unternehmen und Konzerne Tax Compliance Management Systeme bereits implementiert haben und „Tax Compliance Officer“ die Einhaltung der internen Regeln überwachen, ist die Zurückhaltung von kleinen und mittleren Unternehmen spürbar.

Ist ein Tax Compliance Management System (Tax CMS) wirklich erforderlich? Zunächst sehen viele mittelständische Unternehmen in einem Tax CMS zusätzlichen Bürokratieaufwand ohne echten Nutzen. Auch sind mangelnde unternehmenseigene Kapazitäten ein Grund, warum das Thema Tax CMS nicht weiterverfolgt bzw. umgesetzt wird. Dabei wird häufig die Auffassung vertreten, der extern beauftragte Steuerberater werde bei der Erstellung der betrieblichen Steuererklärungen auf die Einhaltung von steuerlichen Vorschriften achten und damit die Tax Compliance des Unternehmens sicherstellen. Dies ist in der Regel zu kurz gedacht.

Was ist Tax Compliance Management?

Tax Compliance ist insbesondere für mittelständische Unternehmen nichts Neues: Die (i) pünktliche Abgabe von Steueranmeldungen und -erklärungen mit (ii) vollständigen und inhaltlich richtigen Informationen einschließlich (iii) der Beachtung der Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten sowie (iv) die pünktliche Entrichtung der Steuerschuld werden seit jeher beachtet.

Dennoch sind steigende steuerliche Anforderungen aufgrund zunehmender Komplexität des Steuerrechts und wachsender Dokumentationserfordernisse wesentliche Herausforderungen bei dieser Pflichtenerfüllung und machen Tax Compliance zunehmend schwieriger. Exemplarisch verdeutlicht dies die notwendige Verfahrensdokumentation nach den Grundsätzen zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD).

Inhaltlich bereitet eine solche Dokumentation üblicherweise keine besonderen Schwierigkeiten, zumal auch eine Musterverfahrensdokumentation erhältlich ist. In der Praxis bedeutet die Erstellung einer solcher Dokumentation nach GoBD einen erheblichen Zeitaufwand für die Unternehmen, bei dem die Kapazitäten schnell erschöpft sind. Der guten Ordnung halber sei darauf hingewiesen, dass die fehlende Verfahrensdokumentation einen Verstoß gegen steuerliche Pflichten darstellt.

Beim Tax CMS geht es um die Frage, ob und wie durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt ist, dass die steuerlichen Pflichten erfüllt werden. In der Regel existieren in den mittelständischen Unternehmen bereits eine Vielzahl von Maßnahmen, die der Erfüllung steuerlicher Pflichten dienen. Neben Prozessen der Belegerfassung, -bearbeitung und -aufbewahrung sind üblicherweise auch Maßnahmen zur Einhaltung von Fristen implementiert, die es ermöglichen, Geschäftsvorfälle zeitgerecht festzuhalten und steuerlich zu würdigen.

Nach unseren Erfahrungen sind diese Maßnahmen jedoch bisher nicht (hinreichend) dokumentiert. Klare Verantwortlichkeiten werden nicht festgelegt und etwaige Schnittstellen nicht eindeutig definiert.

Tax CMS vs. steuerliches innerbetriebliches Kontrollsystem

Während sich der Begriff des Tax CMS bereits durch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) mit dem Prüfungsstandart 980 (Grundsätze ordnungsgemäßer Prüfung von Compliance Management Systemen) und dem IDW Praxishinweis 1/2016 (Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980) etabliert hat, wird gerade für mittelständische Unternehmen durch die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) der Begriff des steuerlichen innerbetrieblichen Kontrollsystems (Steuer-IKS) geprägt.

Die BStBK hat für ihren Berufsstand Hinweise für ein Steuer-IKS herausgegeben, um die Steuerberater bei der Erfüllung der steuerlichen Pflichten ihrer Mandanten zu unterstützen. Die Hinweise sind über die Homepage der BStBK kostenfrei abrufbar und stellen nicht bloß eine Pflichtlektüre für Steuerberater dar, sondern sind auch den Unternehmen zu empfehlen. Sie bieten konkrete Hilfestellungen beim Aufbau und der Ausgestaltung von Steuer-IKS an.

Die Begriffe Tax CMS und Steuer-IKS sind nicht deckungsgleich. Während ein Steuer-IKS sich auf die reinen prozess- und systemintegrierenden Maßnahmen mit dem Ziel der Erstellung einer richtigen Steuererklärung beschränkt, geht ein Tax CMS mit der Festlegung einer Steuer-Compliance-Kultur und Steuer-Compliance-Zielen darüber hinaus.

Die Festlegung einer Steuer-Kultur (grundlegende Werteauffassung und Verhaltensweise von Führungs- und Aufsichtsorganen als Grundpfeiler sowie Tax Code of Conduct) und die Festlegung von Steuer-Compliance-Zielen (Tax follows business; Transparenz über entscheidende steuerliche Angelegenheiten) sind für Unternehmen bestimmter Größenordnungen wesentlich. Die Dokumentation eines steuerlichen Leitbildes oder von Compliance-Zielen ist jedoch regelmäßig in kleinen und mittleren Unternehmen nicht zu finden. Im Folgenden beziehen sich die Ausführungen auf ein Steuer-IKS.

Bestandsaufnahme

Ein erster Schritt zu einem Steuer-IKS stellt die systematische Aufnahme der vorhandenen Prozesse und Kontrollen dar. Aufbauorganisation und Ablauforganisation des Unternehmens werden analysiert. Das Vorhandensein verschiedener Abteilungen, deren Verhältnis zueinander und die Zuweisung von Verantwortlichkeiten wird hierdurch beleuchtet.

Prozesse sind nur dann effizient, wenn Aufgaben und Verantwortlichkeiten für Mitarbeiter klar geregelt sind.

Die Betrachtung einzelner Prozesse (bspw. Betriebsveranstaltungen, Rechnungserstellung oder Rechnungsprüfung) soll auch der Identifikation der Schnittstellen zu vor- und nachgelagerten Bereichen dienen. Nur so lassen sich Zwischenergebnisse und Verantwortlichkeiten für die einzelnen Prozessschritte festlegen. An dieser Stelle wird auch deutlich, warum das bloße Vorhandensein einer Steuerabteilung oder die Beauftragung eines externen steuerlichen Beraters nicht automatisch die Tax Compliance eines Unternehmens sicherstellen kann:

Notwendig ist eine genaue Betrachtung und Dokumentation/Beschreibung der Schnittstellen zwischen den Arbeitsschritten im Unternehmen und des externen Steuerberaters. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Datengrundlage für die Steuererklärungen vollständig und zutreffend ist. Gleiches gilt für die Beachtung von Aufzeichnungs- und Aufbewahrungsvorschriften.

Risikobewertung

Nach der Bestandsanalyse ist zu entscheiden, welche weiteren Schritte und Maßnahmen erforderlich sind. Diese Entscheidung ist auf der Grundlage einer Risikoanalyse und Risikobewertung zu treffen.

Die typischen Risikofelder können üblicherweise aus den verschiedenen Steuerarten (z. B. aus der Ertragsteuer, Umsatzsteuer, Lohnsteuer, Schenkungs-, Grunderwerb- und Grundsteuer oder auch aus Zöllen und Verbrauchsteuern) hergeleitet werden. Je nach Größe, Komplexität und Internationalität eines Unternehmens kann es erforderlich sein, übergreifende oder spezielle Risikofelder zu betrachten (z. B. Verrechnungspreise, Erfüllung von Aufbewahrungspflichten).

Die Risikobewertung hat die Eintrittswahrscheinlichkeit und das mögliche Schadensausmaß zu berücksichtigen. Bei der Analyse des Schadensausmaßes können zwei Risikokonstellationen unterschieden werden:

Bei Massensachverhalten ist der einzelne Schaden zwar gering, die hohen Fallzahlen an Geschäftsvorfällen können jedoch große finanzielle Belastungen nach sich ziehen (typischerweise im Bereich der Umsatzsteuer und der Lohnsteuer). Dagegen gibt es Einzelsachverhalte, die für sich gesehen bereits große finanzielle Auswirkungen haben, beispielhaft seien Immobilientransaktionen erwähnt.

Der Einsatz von IT hat ebenfalls Auswirkungen auf die Risikoanalyse. Durch die automatisierte Datenverarbeitung können Einzelsachverhalte ohne wesentliche finanzielle Auswirkungen schnell zu Massensachverhalten werden.

Risiken, die besonders häufig vorkommen oder bei denen besonders hohe finanzielle Auswirkungen zu erwarten sind, sollten vordringlich behandelt werden. Hier spielen auch die betrieblichen Erfahrungen aus vergangenen Betriebsprüfungen oder andere Auffälligkeiten im Besteuerungsverfahren eine wesentliche Rolle.

Kontrollmaßnahmen

Die Einrichtung bzw. Dokumentation von konkreten Steuerungs- und Kontrollmaßnahmen zur Beherrschung der identifizierten Risiken ist ein Kernelement des Steuer-IKS. Es können Maßnahmen manueller oder automatisierter Natur sein. Typischerweise wird zwischen präventiven Maßnahmen (d. h. solche, die Fehler bereits im Vorfeld verhindern) und detektivischen Maßnahmen (d. h. solche, die entstandene Fehler aufdecken bevor sie sich in der Buchhaltung auswirken können) unterschieden. Bei der Implementierung solcher Maßnahmen sind die Verantwortlichkeiten genau festzulegen.

Die Delegation von Aufgaben und Verantwortlichkeiten ist auch im Rahmen eines Steuer-IKS möglich. Die Unternehmensleitung muss die verantwortliche Person sorgfältig auswählen und die Aufgabenerfüllung zumindest stichprobenartig überprüfen. Kontroll- und Steuerungsmaßnahmen sollten auf allen Unternehmensebenen durchgeführt, systematisch ausgewertet und auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden.

Kommunikation und Überwachung/Verbesserung

Nach Festlegung der angemessenen Steuerungs- und Kontrollmaßnahmen hat eine geeignete Kommunikation des Steuer-IKS (Prozesse, Maßnahmen, Berichtswege und Zeitplan) zu erfolgen. Hierzu gehört auch die Beschäftigung mit einem Aus- und Fortbildungsprogramm der verantwortlichen Mitarbeiter. Wesentlich für ein Steuer-IKS ist, dass ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess implementiert wird. Festgestellte Mängel müssen abgestellt werden, die Entstehung neuer Mängel muss vermieden werden. Für die Dokumentation eines Steuer-IKS ist keine besondere Form vorgesehen.

Es gibt kein allgemeingültiges Muster für ein Steuer-IKS. Ob eine übergeordnete zusammenfassende und in sich geschlossene Beschreibung des Steuer-IKS erfolgen sollte, richtet sich nach den konkreten Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens (Größe, Komplexität und Standardisierbarkeit der Geschäftsvorfälle, Grad der Internationalisierung, Organisationsstruktur etc.). Entscheidend ist, dass ein Steuer-IKS im täglichen Geschäftsbetrieb umgesetzt und tatsächlich in der Praxis gelebt werden kann (Angemessenheit). Es ist auch möglich, mit Checklisten, Prüf- und Kontrollschemata, Arbeitsanweisungen, Schulungsunterlagen und Merkblättern etc. zu arbeiten.

Der Auf- bzw. Ausbau eines Steuer-IKS ist kein einmaliges Projekt, sondern ein fortlaufender Prozess. Die Eingliederung in den laufenden Geschäftsbetrieb und die fortlaufende Weiterentwicklung sind notwendig, damit das Steuer-IKS dauerhaft Wirkung entfalten kann. Der Einsatz von IT-Systemen als Kontroll- und Steuerungsmechanismus kann ebenfalls erwogen werden.

Bescheinigung nach IDW PS 980

Eine Prüfung des Tax CMS/Steuer-IKS durch den Wirtschaftsprüfer ist als Systemprüfung auf die Angemessenheit und Wirksamkeit eines implementierten Tax CMS gerichtet. Bei der Angemessenheit wird geprüft, ob das Tax CMS, genauer gesagt die Prozesse und Maßnahmen, für das Unternehmen geeignet ist. Die Wirksamkeitsprüfung ist darauf gerichtet, ob das System funktionsfähig ist und die Compliance-Ziele damit erreicht werden können.

Stand der Diskussion

In der (steuerlichen) Fachliteratur ist die Auseinandersetzung mit Tax-Compliance-Management-Systemen in vollem Gange. In den Unternehmen und der Finanzverwaltung scheint das Thema noch nicht vollständig angekommen zu sein. Die Finanzverwaltung ist zumindest derzeit (noch) der Auffassung, dass ein vorhandenes Tax CMS/Steuer-IKS keinen Einfluss auf die Prüfungsauswahl oder den Prüfungsturnus in der steuerlichen Außenprüfung hat. Finanzgerichtliche Rechtsprechung liegt zu dem Thema noch nicht vor. Der Bundesgerichtshof hat sich in seinem Urteil vom 09.05.2017 mit der Thematik auseinandergesetzt und entschieden, dass sich Compliance-Bemühungen des Unternehmens positiv, d. h. im Ergebnis strafmildernd auswirken (so zur Bemessung einer Verbandsgeldbuße).

Umgekehrt gilt (derzeit) noch die wohl vorherrschende Meinung, dass aus dem Fehlen eines dokumentierten Tax CMS/Steuer-IKS nicht auf das Vorliegen von Vorsatz (Steuerhinterziehung nach § 370 AO) oder auf Leichtfertigkeit (Steuerordnungswidrigkeit nach § 378 AO) geschlossen werden kann.

Übersicht zu IDW PS 980

Ein Tax-CMS nach IDW PS 980 beinhaltet sieben Aspekte:

  1. Compliance-Kultur
  2. Compliance-Ziele
  3. Compliance-Organisation
  4. Compliance-Risiken
  5. Compliance-Programm
  6. Compliance-Kommunikation
  7. Compliance-Überwachung/Verbesserung

Diese Aspekte stellen keinen Mindeststandard dar. Die Ausgestaltung hängt vor allem von der Größe und der Komplexität des Unternehmens ab. Bei einem Steuer-IKS ist die Festlegung einer Compliance-Kultur und von Compliance-Zielen nicht erforderlich.

Fazit

Mit der Thematik Tax CMS/Steuer-IKS hat sich jedes Unternehmen bzw. die Unternehmensführung eingehend zu befassen. Welche Maßnahmen im Unternehmen konkret zu treffen sind, muss sorgfältig analysiert werden. Ein Tax CMS/Steuer-IKS ist kein einmaliges Projekt, sondern gehört zu den dauerhaften Aufgaben, die die Unternehmenssteuerung zu leisten hat.

Allein die systematische Aufnahme und Analyse der bestehenden (steuerlichen) Prozesse im Sinne einer Bestandsaufnahme führt nach unseren Erfahrungen bereits zu einer Steigerung der Effektivität der betrieblichen Prozesse, dem Freisetzen von Kapazitäten und vor allem zu einer spürbaren Verringerung der Unternehmensrisiken. Zumindest die Bestandsanalyse von einzelnen Teilbereichen (ggf. einzelnen Steuerarten) sollte im Unternehmen angegangen werden.

Die vollständige Übertragung der Implementierung bzw. Dokumentation eines Steuer-IKS auf externe Berater kann je nach Größe des Unternehmens, der Branche, des Geschäftsmodells, der Organisationsstruktur oder des Grads der Internationalisierung etc. zu nicht unerheblichem Beratungsaufwand führen. Es ist daher notwendig, flexible Lösungen mit dem steuerlichen Berater zu suchen, bei denen die Kosten zur Einführung eines Steuer-IKS beherrschbar bleiben.

Nach einer ausführlichen Befassung mit der Thematik mag die Entscheidung der Geschäftsleitung, in diesem Feld nichts zu tun, im Einzelfall richtig sein. Mit der Auffassung der Bundessteuerberaterkammer ist jedenfalls das vollständige Ignorieren der Thematik Steuer-IKS fahrlässig.

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