Artikel erschienen am 08.08.2023
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Wenn das Herz stolpert und rast…

Wie wird Vorhofflimmern heute behandelt? Und wie kann ein Schlaganfall vermieden werden?

Von Prof. Dr. med. Rüdiger Becker, Wolfsburg | Dr.Med. Sebastian winn, Wolfsburg

Aktuelle Studien unterstützen die Bedeutung einer frühzeitigen Diagnosestellung und einer spezifischen Therapie. Moderne Therapieformen ermöglichen hier einen deutlichen Fortschritt in der Behandlung und optimieren den Schutz vor einem Schlaganfall.

VORHOFFLIMMERN – EIN ZUNEHMENDES PROBLEM

Etwa 1,8 Millionen Menschen leiden in Deutschland an Vorhofflimmern, der mit Abstand häufigsten Herzrhythmusstörung. Während beim gesunden Menschen die Erregung in einem koordinierten Rhythmus ca. 60-100 x pro Minute aus den Herzvorhöfen in die Herzkammern geleitet wird, besteht bei Vorhofflimmern eine unkoordinierte Erregung der Vorhöfe, welche unregelmäßig meist zwischen 50 und 150 x pro Minute die Herzkammer erregt. Die Beschwerden reichen von Herzklopfen und -stolpern über Panikattacken bis hin zu Luftnot und Schwindel. Die Folgen reichen von einer Herzschwäche bis hin zu einem Schlaganfall und einem erhöhten Demenzrisiko.

Das Auftreten von Vorhofflimmern nimmt mit dem Alter deutlich zu. Während in der Altersgruppe der 55-59-Jährigen ca. 1,5 % der Menschen betroffen sind, leidet bei den über 80-Jährigen bereits jeder 5. darunter. Experten rechnen bis Mitte des Jahrhunderts annähernd mit einer Verdopplung der Betroffenen in Europa.

Die Beschwerden beginnen bei Vorhofflimmern meist anfallsweise mit kurzen, oft nur wenige Minuten anhaltenden Phasen eines meist schnellen und unregelmäßigen Herzschlages, welcher sich dann häufig spontan wieder beruhigt. Eine häufige Ursache sind starke Auslöser (sog. Trigger), welche das Herz belasten wie zum Beispiel Stress, ein Infekt oder übermäßiger Alkoholkonsum. Je länger das Vorhofflimmern besteht, umso häufiger und langanhaltender werden die Phasen der Herzrhythmusstörung (Arrhythmie) und umso geringer ist der auslösende Anlass.

Besteht der Verdacht auf ein Vorhofflimmern, ist vor einer weiteren kardiologischen Diagnostik zunächst die Sicherung der Diagnose wichtig. Gerade bei Patienten mit nur kurzen Phasen kann diese schwierig sein, hier ermöglichen häufig erst moderne „Smartwatches“ oder vergleichbare Geräte die Diagnosestellung.

Das Voranschreiten des Vorhofflimmerns stellt den üblichen Verlauf dar und zeigt sich dann in immer längeren Phasen der Arrhythmie, bis das Vorhofflimmern nicht mehr von alleine endet. In diesen Fällen ist Vorhofflimmern immer wieder auch ein Zufallsbefund im routinemäßig durchgeführten EKG.

Man spricht jetzt von einem „persistierenden Vorhofflimmern“, ein Durchbrechen der Herzrhythmusstörung ist jetzt nur noch durch spezifische Medikamente oder eine „Elektrokardioversion“, also eine elektrische Stoßtherapie in Kurznarkose, möglich.

DIE FRÜHZEITIGE THERAPIE ERMÖGLICHT DEN
OPTIMALEN VERLAUF

Die Entscheidung für eine frühzeitige Therapie zur Beseitigung des Vorhofflimmerns ist in der Praxis häufig schwierig, da das Vorhofflimmern zu Beginn häufig nur mit kurzen Anfällen und dagegen aber mit langen beschwerdefreien Intervallen auftritt.

Auch bei geringer Symptomatik zeigen große Studien in den vergangenen Jahren die beste Prognose bei Patienten, bei denen frühzeitig eine spezifische sog. „rhythmuserhaltende“ Therapie eingeleitet wird und die Auslöser des Vorhofflimmerns effektiv behandelt werden.

Auslöser des Vorhofflimmerns sind unregelmäßige elektrische Signale, welche zusätzlich zu dem normalen Herzrhythmus spontan auftreten und zumeist aus den Lungenvenen („Pulmonalvenen“) in den linken Vorhof überspringen und Vorhofflimmern auslösen. Das Auftreten dieser Extraschläge zu unterbinden, ist Ziel der spezifischen rhythmologischen Therapie, welche medikamentös oder per Katheterablation erfolgen kann.

MEDIKAMENTE VERSUS KATHETERABLATION –
DIE WAHL DER RICHTIGEN THERAPIEFORM


Während gut verträgliche Medikamente wie Betablocker einen zumeist nur geringen Einfluss auf den Rhyth-muserhalt bei Vorhofflimmern haben, gibt es bei Therapieversagen dieser Medikamente eine Auswahl spezifischer Medikamente, welche sich einerseits deutlich wirksamer zeigen, aber leider vermehrt Nebenwirkungen verursachen, sodass eine individuelle Beratung bezüglich der Medikamentenauswahl und eine ärztliche Beobachtung der Therapie erfolgen müssen.

Eine andere Option ist die Verödung der Herzrhythmusstörung („Katheterablation“), welche bei Vorhofflimmern eine zunehmend bedeutende und erfolgsversprechende Alternative darstellt. Hier werden in einem minimalinvasiven Eingriff, welcher in einem tiefen Schlaf (sog. „Sedierung“), aber in der Regel ohne die Notwendigkeit einer Narkose, durchgeführt wird, spezielle Katheter über die Leistenvene schmerzfrei in das Herz und nach Passage der Vorhofscheidewand schließlich in den linken Herzvorhof vorgebracht. Mit diesen Kathetern werden die Pulmonalvenen aufgesucht und die für die normale Erregung des Herzens nicht benötigte elektrische Verbindung zwischen den Lungenvenen und dem linken Vorhof unterbunden (sog. „Lungenvenenisolation“). Dies geschieht durch die Erzeugung einer Narbe im Bereich der Mündung der Lungenvenen, welche entweder durch Vereisung mittels eines sog. Kälteballons oder durch Erwärmung mittels Stromabgabe erreicht werden kann (Abb. 2).

Nach einer Prozedur, die 60-90 Minuten dauert, ist ein 1-2-tägiger stationärer Aufenthalt notwendig. In erfahrenen Zentren sind diese Eingriffe mit einer niedrigen Komplikationsrate möglich. Dennoch ist eine individuelle Aufklärung über die Erfolgsaussicht und die Risiken wichtigster Bestandteil der rhythmologischen Beratung und ein entscheidender Beitrag in der Entscheidung über die richtige Therapieform.

Die Erfolgsaussicht einer Lungenvenenisolation ist auch bei erfahrenen Untersuchern stark von der Form des Vorhofflimmerns abhängig. Während bei anfallsweisem Vorhofflimmern ein dauerhafter Sinusrhythmus nach einem einmaligen Eingriff in ca. 80 % der Fälle zu erreichen ist, sind die Erfolgsaussichten besonders bei schon länger persistierendem Vorhofflimmern deutlich schlechter.

In 10-20 % der Fälle kann dann auch eine wiederholte Prozedur notwendig sein, die mit modernen hochauflösenden 3D-Systemen durchgeführt wird, um die verbliebenen Stellen, von denen die Erregung ausgeht, präzise finden und veröden zu können (Abb. 3). Dennoch bleibt eine frühzeitige Diagnose und spezifische Therapie bereits bei kurzen und beschwerdearmen Phasen des Vorhofflimmerns für den langfristigen Erfolg entscheidend.

VORHOFFLIMMERN UND SCHLAGANFALL –
EINE ECHTE GEFAHR

Während Vorhofflimmern meist vor allem eine Beeinträchtigung in der Lebensqualität und der Leistungsfähigkeit darstellt, ist das mit dem Vorhofflimmern assoziierte Risiko eines Schlaganfalls die wesentliche lebensbedrohliche Komplikation der Arrhythmie.

Ursächlich sind hier in den meisten Fällen durch den veränderten Blutfluss im linken Vorhof im sog. „Vorhofohr“ entstehende Blutgerinnsel, welche bis in das Gehirn verschleppt werden und dort zu einem Gefäßverschluss und somit Schlaganfall führen können.

Sobald ein Vorhofflimmern bekannt ist, wird das individuelle Risiko für einen Schlaganfall unter Berücksichtigung von Faktoren wie Alter und Begleiterkrankungen berechnet. Wenn sich hier ein relevantes Risiko für einen Schlaganfall ergibt, ist eine Therapie mit einem stark blutverdünnenden Medikament notwendig. Bis vor wenigen Jahren war Marcumar® mit der Notwendigkeit einer engmaschigen Dosiskontrolle das führende Medikament, seit etwa 10 Jahren ermöglichen moderne Medikamente („neue bzw. direkte orale Antikoagulanzien“) eine deutlich komfortablere und sicherere Therapie.

Dennoch führen Medikamente, die die Blutverdünnung fördern, mitunter zu Komplikationen. So erleiden besonders Patienten mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck häufiger auch bedrohliche Blutungen unter diesen Medikamenten, andere Patienten dürfen aufgrund von Gegenanzeigen wie vorangegangenen Blutungen oder einer fortgeschrittenen Nierenschwäche diese Medikamente nicht einnehmen.

EINGRIFF STATT MEDIKAMENTE?


Hier stellt das Therapieverfahren des Vorhofohrverschlusses (sog. „LAA Occluder“) eine zunehmend bedeutsame therapeutische Option dar. Wie bei der Lungenvenenisolation werden Katheter bis in den linken Vorhof eingebracht und anschließend mittels eines speziellen Verschlusssystems das Vorhofohr verschlossen, so dass hier keine Blutgerinnsel mehr entstehen können (Abb. 4). Nach dem Eingriff ist eine dauerhafte Therapie mit starken blutverdünnenden Medikamenten nicht länger notwendig.

Die Prozedur des Vorhofohrverschlusses verringert das Risiko eines Schlaganfalls in ähnlichem Maße wie die blutverdünnenden Medikamente. Aufgrund des notwendigen Eingriffs wird dieses Verfahren allerdings aktuell ausschließlich Patienten empfohlen, bei denen eine Blutverdünnung nicht möglich ist und gleichwohl ein hohes Schlaganfallrisiko besteht. Für sie stellt der von erfahrenen Experten durchgeführte Vorhofohrverschluss einen erheblichen Schutz vor einem Schlaganfall dar.

 

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